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Wenn es an den Börsen wie aktuell mal wieder hektisch zugeht, sehe ich mir gerne an, was die US-Investmentbanken zu sagen haben. Ihre Beobachtungen sind da ebenso interessant wie wichtig. Was sie daraus schließen jedoch weniger. Denn die Zukunft wird gerade in chaotischen Phasen nicht davon bestimmt, was sein müsste, sondern von Emotionen und geschickten, großen Tradern. Und wenn man über Letztere nachdenkt, sollte man das Bären-Lager besser nicht vergessen.
Auffällig war, dass die US-Banken sofort mit den wegsackenden Kursen ihre Erwartungen an die US-Notenbank hochschraubten. Citigroup und JP Morgan sehen sogar zwei 50 Punkte-Senkungen in diesem Jahr, nachdem man vor dem schwachen Einkaufsmanagerindex und den mageren US-Arbeitsmarktdaten nur eine einzige von 0,25 Punkten sah. Sogar von einem „Emergency Cut“, einer Senkung außerhalb der regulären Sitzungen, war die Rede. Goldman Sachs indes machte klar:
Ansichten der US-Investmentbanken zur Lage
Der Marktstresslevel mag erhöht sein, bewegt sich aber nicht auf einem Niveau, das die Fed zum Eingreifen bringen würde, so das Investmenthaus. Und in der Tat wäre das nach diesen ja eigentlich nur mäßig miesen Konjunkturdaten und der bislang noch in einem ganz normalen Rahmen laufenden Korrektur der US-Indizes massiv übertrieben.
Ich würde dazu ja sagen „Ball flachhalten, da kommen schließlich vor den nächsten Sitzungen von Fed und EZB noch die August-Arbeitsmarktdaten“ … aber flache Bälle will derzeit ja niemand spielen.
Und was wissen die US-Investmentbanken zur Gesamtsituation zu berichten? Goldman Sachs meint, dass es immer klarer werde, dass die US-Verbraucher den Gürtel enger schnallen, während für JP Morgan das Rezessionsrisiko von 25 auf 35 Prozent gestiegen ist und CEO Jamie Dimon nicht damit rechnet, dass die Inflation auf zwei Prozent zurückkommt. Gut, das sind Beobachtungen, aber keine Wegweisungen. Denn dass die US-Konjunktur jetzt eben doch den Druck hoher Zinsen spürt, kann jeder Anleger selbst sehen, entweder durch einen Blick vor die Haustür oder auf die Konjunkturdaten.
Und jetzt zum Aktienmarkt. Nach Ansicht eines Goldman Sachs-Marktstrategen ist die Korrektur noch nicht abgeschlossen, da die Bewertungen an der Börse aktuell weiter ungewöhnlich hoch sind (sieh an, hat vorher niemand wissen wollen). Und JP Morgan sieht zwar die Möglichkeit, dass der Abgabedruck weitergeht, stellt aber fest, dass der Verkaufsdruck von großen Adressen abnimmt und Hedgefonds im Saldo am Rallye-Donnerstag auf der Käuferseite standen.
Allerdings schrieb man auch, dass die Privatanleger in die fallenden Kurse massiv gekauft hätten. Was hieße, dass die normalerweise eine echte Korrektur abschließende Kapitulation der weniger erfahrenen Dauer-Bullen noch nicht da ist. Auch die Bank of America beobachtete zum Wochenschluss, dass die Privaten einfach stur weiterkaufen, sprich die abkippenden Kurse als Chance und nicht als Warnsignal wahrnehmen. Das ist kurzfristig ein entscheidender Grund, warum es zum Wochenschluss wieder aufwärts ging. Aber ist dieser Rücksetzer damit wirklich „durch“, der Weg nach unten zugestellt und der nach oben frei?
„Die Bären“ an sich gibt es nicht
Das glauben viele, nicht zuletzt, weil die erdrückende Mehrheit am Aktienmarkt ja immer nur Long ist. Das prägt die Wahrnehmung. Und das eigene Handeln nicht minder, weswegen es mich absolut nicht überrascht, dass die Privatanleger mehrheitlich nicht konsequent auf Basis vernünftig gesetzter Stoppkurse ausgestiegen sind, sondern einfach trotz bärischer Signale in vielen Charts stur weiter gekauft haben. Wie kürzlich ein Kollege so treffend schrieb: Sehr viele kennen es ja auch nicht anders, als dass ein Rücksetzer immer eine Kaufgelegenheit war. Die letzte, größere Baisse geht auf die Jahre 2008/2009 zurück!
Aber auch, wenn das Geld der Privaten im übergeordneten Bild den Trend macht, weil letztlich diejenigen, die dieses Geld zu verwalten haben, seien es Pensionsfonds, Fonds oder ETFs, nicht dauerhaft gegen einen einfach weitergehenden Strom frischen Geldes agieren können: Kurzfristig geht das sehr wohl, insbesondere wenn es um Hedgefonds und andere, große spekulative Trader geht. Und die können nicht nur bärisch agieren, sie tun es auch … wenn sie sich dabei Chancen ausrechnen.
Wobei ich kurz mal abschweifen möchte: Es gibt keine „Bullen“ und „Bären“ in dem Sinne, in dem sie oft medial gezeichnet werden. Wenn es um diese Thematik geht, geht es nicht um Privatanleger, die Aktien kaufen, sondern um erfahrene Trader. Und da ist niemand aus Prinzip immer „Bulle“ oder immer „Bär“. Die Bären an sich gibt es also nicht. Es gibt nur Trader, die bärisch agieren könnten … wenn sie es denn wollen. Und, wollen sie, die Bären?
Das ist ja der springende Punkt: Das weiß man ja nie genau, weil man dazu wissen müsste, was in den Köpfen zahlloser Akteure rund um den Globus vorgeht und ob das, was die sich so überlegen, auch in Taten mündet. Was die Sache knifflig macht, denn wer heute bullisch daherkommt, könnte morgen schon massiv auf den Markt eindreschen. Also kann man nur eines tun: Die Rahmenbedingungen und die Charts genau abklopfen und horchen, ob da irgendetwas klingt, als könnte es für massivere Short-Attacken lukrativ sein.
Die Rahmenbedingungen wären für einen größeren Abwärtsimpuls perfekt, wenn…
Eine sich abkühlende Konjunktur in den USA trifft jetzt auf eine ohnehin längst um die Nulllinie dahin vegetierende Wirtschaft in der Eurozone. Und auf einen chinesischen Markt, der weiterhin nicht richtig in Fahrt kommt und vor allem durch steigende Exporte zulegt … die indes wiederum Druck auf die Eurozone- und US-Unternehmen ausüben, die das nicht verkaufen, was China im Ausland an den Kunden bringt. Diese Gemengelage beginnt auch auf die Gewinne der großen Unternehmen zu drücken, wie die jüngste Welle an Quartalsergebnissen zeigt, die weit weniger übertroffene Prognosen aufwies wie sonst in den letzten Jahren. Und das, obwohl sich die Analysten bemühen, im Zweifel lieber zu tief zu schätzen. Eine grundsätzlich perfekte Ausgangslage dafür, die Kurse gezielt erneut anzuschubsen. Es sei denn…
…man würde bei den großen Tradern mehrheitlich zu dem Schluss kommen, dass da noch dermaßen viel frisches Geld seitens der Privatanleger in den Markt strömen wird, dass man mit Short-Trades einfach überrannt würde. Aber genau das ist jetzt eben fraglicher als in den vielen Jahren zuvor, eben weil die Leitzinsen hoch sind. Das macht Anleihen als Alternative für viele attraktiv, vor allem für diejenigen, die auch früher lieber Bonds hielten. Und teure Kredite und stark gestiegene Preise können mehr und mehr Menschen nicht mehr so kompensieren für in der Anfangszeit, als man noch genug „Überschuss-Geld“ auf dem Koto hatte. Da kommt Goldman Sachs‘ Hinweis auf den enger geschnallten Gürtel zum Tragen. Und die Leitzinssenkungen?
Die wirken eben erst einmal bremsend, bevor sie stimulieren. Auch, wenn es wirklich so kommt, die „Fed“ den Leitzins noch im laufenden Jahr zweimal um 0,5 Prozent herunternimmt und die EZB zumindest mit 0,25er-Schritten nachzieht:
Damit sind Kredite und Investitionen noch lange nicht wieder billig. Und wer kann, wartet auf deutlich tiefere Zinsen, so dass die unter „Privaten“ so verbreitete Mär, dass erste Zinssenkungen sofort einen Wachstumsschub und damit eine Super-Hausse auslösen, nicht nur deswegen wacklig ist, weil die Kurse für eine Super-Hausse vorher erst einmal hätten fallen müssen. Und die Charts?
Die Charts: Noch haben die Bären gar nicht richtig angefangen
Die sind noch einmal spannender als die Rahmenbedingungen, denn hier sehen wir: So richtig tragfähig sind die mit ein, zwei Tagen immer auftauchenden Aussagen, die Korrektur sei vorbei, nicht. Sie kann es trotzdem sein, keine Frage, falls man sich bei den großen Adressen entschieden hat, mit den Privatanlegern mitzuziehen und wieder richtig zuzulangen. Aber das ist nicht nur aufgrund des Umstands offen, dass man nicht weiß, was die großen Trader vorhaben. Es ist auch aus rein charttechnischer Sicht nicht zwingend.
Wenn Sie sich die diesen Artikel begleitenden Charts der großen Indizes Dow Jones, Nasdaq 100, DAX und Euro Stoxx 50 ansehen, werden Sie feststellen, dass zwar wichtige Supportlinien gefallen sind, diese aber bislang mit wenigen Ausnahmen noch nicht zurückerobert wurden. Darüber hinaus fällt mir auf, dass diese drei massiv schwachen Tage zum Start in den August mehr aussehen wie eine Kombination aus Verkäufen von Fonds oder ETFs, bei denen Geld abgezogen wurde, so dass sie verkaufen mussten und aus einer Kaskade von ausgelösten Stop Loss-Verkaufsorders. Es wirkt aber nicht wie eine gezielte, umfassende Attacke großer, auf die bärische Seite übergelaufener Trader. Was mich vermuten lässt: Die Bären sind noch gar nicht in größerem Umfang aufgetaucht. Und das könnte noch kommen, wenn … ja wenn was?
Glaskugel sinnlos: Wie es weitergeht, entscheidet sich aus dem Augenblick heraus
Ob man einen größeren Short-Trade eingeht, entscheidet sich immer an bestimmten, neuralgischen Punkten im Chart in Verbindung mit der Marktstimmung und den Rahmenbedingungen. Genauso, wie potenzielle Käufer ihre Kauforders ruckzuck löschen, wenn sie sehen, dass der Kurs mit dramatischem Schwung an den Punkt rutscht, an dem sie kaufen wollen, weil sie fürchten, dass die da einfach überrannt werden, entscheiden auch die Short-Seller aus der Situation heraus. Was für die kommenden Tage konkret folgende Möglichkeiten offerieren würde:
Entweder, es kommt gleich heute oder morgen zu einer massiven Attacke, noch bevor wichtige Charthürden erreicht sind. Das könnte das Ziel haben, den Bullen deutlich zu machen, dass sie auf verlorenem Posten stehen und weitere Käufe gar nicht erst versuchen sollten.
Oder, zweite Möglichkeit, die Bären warten bis zu den im Chart hervorgehobenen Widerstandszonen. Denn sollte der Kaufdruck dann erlahmen, hätten sie eine sicherere Ausgangsbasis und könnten mit engeren, knapp über diesen neuralgischen Bereichen platzierten Stop Loss arbeiten. Das wäre der Normalfall, so läuft es oft … wenngleich nicht immer!
Oder aber sie tauchen gar nicht auf, d.h. Dow, DAX & Co. sausen einfach ungebremst durch die Widerstände nach oben durch und gehen sofort die alten Hochs an. Was dann denkbar wäre, wenn diejenigen, die bärisch gestimmt sind, erkennen, dass sie zu wenige und zu schwach sind, um die hoffnungsvollen Bullen kleinzukriegen. Zwar bleibt der Faktor der anfangs bremsenden Zinssenkungen und der schwachen Konjunktur, verbunden mit der hohen Bewertung der Aktienmärkte, eine gute Basis für die Bären. Aber dann würden diese mehrheitlich wie gesagt erfahrenen Akteure wohl warten, bis den Bullen Geld, Zuversicht oder beides ausgeht und dann erst angreifen.
Das alles ist also eine Art Eiertanz für beide Seiten. Was man tun will und ob man es dann wirklich tut, ist immer davon abhängig, was die anderen tun … und das weiß man eben erst, wenn es passiert. Hüten Sie sich daher davor, eine feste Meinung dazu zu haben, was in den kommenden Wochen passieren wird … denn wie schon letzte Woche geschrieben, ist es wie immer in hoch volatilen Phasen das Unerwartete, das den Taktstock führt!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
An der Börse geht es nicht immer nur aufwärts, oft gibt es auch Phasen mit fallenden Kursen und hoher Volatilität.
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