Die Jahresend-Rallye, einige immer wiederkehrende Termine, die die Käufer bei der Stange halten und ein Jahresabschluss mit optimalem Plus: Die letzten Wochen eines Jahres laufen oft nach einem sturen Schema ab. Das funktioniert, weil alle damit rechnen und entsprechend handeln. Aber wie weit reicht die Strecke, die da nach Fahrplan abgefahren wird?
Wir wissen es ja eigentlich alle: Die Rahmenbedingungen sind der Leitstrahl der Aktienmärkte. Zumindest, sofern sie bullisch sind. Sind sie es nicht, hängt ihr Einfluss auf das Kursgeschehen von zwei Dingen ab: Erstens, ob sie die Akteure zur Kenntnis nehmen wollen. Und zweitens hängt wiederum Ersteres davon ab, ob viele Marktteilnehmer mit diesen Daten überhaupt etwas anfangen können, indem sie über das dafür nötige Grundwissen verfügen.
Beides ist derzeit kaum bis gar nicht zu beobachten. Weshalb der DAX auch eine Rallye im Alleingang vollzieht, obwohl damit der Aktienmarkt genau des Landes nach oben aus der Spur läuft, bei dem es am wenigsten logisch ist. Und der dadurch im Verhältnis der in ihm gelisteten Unternehmen teurer bewertet ist als beispielswiese der Nasdaq 100. Letzterer hat zwar gerade ein Kurs/Gewinn-Verhältnis von 34,9, der DAX von 18,5. Aber da die großen Nasdaq-Unternehmen in Wachstumsbranchen agieren und deren Gewinne zulegen, während das Gros der DAX-Unternehmen konservativen Branchen angehört und deren Gewinne nicht zulegen, sind diese 18,5 teuer.
Die 34,9 relativ zum langjährigen Schnitt zwar auch. Aber die Fallhöhe ist geringer, einfach, weil die wichtigsten unternehmen der Nasdaq deutlich mehr Dynamik zeigen. Aber das ist nur einer von vielen Aspekten, den man derzeit als DAX-Bulle in den Wind schießen muss. Und es auch tut. Denn dafür ist gerade Saison.
Das Phänomen der „self fulfilling prophecy“
Aus einem körperlosen Schlagwort kann umgehend etwas Reales werden, wenn genug Beteiligte daran glauben und entsprechend handeln. Die „Jahresend-Rallye“ ist ein Beispiel dafür. Wenn man mir oft genug ins Ohr flüstert, dass der Aktienmarkt im vierten Quartal steigt, glaube ich daran. Und nicht nur das, ich folgere, dass es clever ist, da mitzumachen. Der Effekt: Meist haut das genau deswegen auch hin. Es gibt keinen zwingenden Grund, warum die Aktienindizes im Herbstquartal besser laufen müssen als im Sommer. Aber wenn genug Trader kaufen, weil sie glauben, dass es so kommt, erfüllt sich die Prophezeiung von selbst. So gesehen 2022, 2023 und in diesem Jahr an der Börse aktuell.
Große Investoren wissen das. Und da die Finanzindustrie nun einmal daran verdient, dass immer mehr Menschen immer öfter immer mehr Aktien kaufen, argumentiert da niemand dagegen. Schließlich hat die Sache auch noch ein paar vorteilhafte Aspekte, die sich für die „big player“ nutzen lassen. Auch und gerade dann, wenn die Jahresend-Rallye ganz und gar nicht zu den Rahmenbedingungen passt und sich damit eine Hoffnungs- oder besser „Gier-Blase“ bildet. Denn am besten kommt in solchen Situationen derjenige davon, der die Nadel in Händen hält, die die Blase ansticht. Aber da sind wir noch nicht. Es gibt schließlich einen Fahrplan.
Die Neun-Uhr-Käufe
Irgendwann zwischen Ende September und Ende November muss erstmal der Zug losfahren. In einem Umfeld wie diesem muss man den zwar anschieben, aber alleine das Schlagwort „Jahresend-Rallye“ und der Umstand, dass das in den vergangenen zwei Jahren auch so lief, sorgt dafür, dass das Anschieben nicht lange dauert und dessen Kapitaleinsatz überschaubar bleibt. Denn wir haben es ja erlebt: Es wird umgehend gekauft wie wild. Auch ohne Grund. Was ja schon deswegen nicht überrascht, weil das Gros der Anleger gar nicht auf die Idee kommt, auch mal auf der Short-Seite aktiv zu werden. Man ist „long only“ … und damit sind Fakten, die andeuten, dass man damit auf dünnem Eis tanzt, unerwünscht. Und werden, wie eingangs geschrieben, entweder ignoriert oder nicht verstanden. Und so läuft der Zug auf einmal von alleine … und die Anleger kaufen weiter, wie der folgende Chart andeutet.
Hier sehen wir den DAX seit Beginn der Rallye auf 60-Minuten-Basis. Mit Pfeilen markiert ist die erste Handelsstunde eines jeden Tages. Wir sehen: Um neun wird gekauft. Sogar an den zwei Tagen, in denen diese erste Handelsstunde eine rote Kerze erzeugte, sprich der Schlusskurs tiefer lag als der Eröffnungskurs, war das ein Anstieg zum Vortages-Schlusskurs, weil der DAX da mit einer Aufwärts-Kurslücke startete. Und wenn der DAX mal um neun nicht recht lief, so wie am Montag, den 2.12., wurde das Problem in den nächsten Stunden erledigt.
Das Interessante ist, dass diese Neun-Uhr-Käufe darauf hindeuten, dass da viel Geld nach dem Handelsende des Vortags in Kauforders verwandelt wurde, die dann umgehend am Folgetag ausgeführt werden und den DAX höher ziehen. Das sind Käufe in Einzelwerten, aber auch und gerade in ETFs. Die müssen dann am Folgetag sofort kaufen, denn sie müssen immer voll investiert sein, um den DAX korrekt nachbilden zu können. Kurz: Diese ungewöhnliche Häufung der Neun-Uhr-Käufe seit Rallyestart, verbunden mit dem so bärischen Umfeld, deutet an, dass da viele Privatanleger kräftig auf Rekordlevel im DAX zugreifen.
Der Fahrplan der großen Adressen
Muss das nicht schiefgehen? Ja, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht äußert hurtig immens aufhellen. Was sich nicht abzeichnet. Aber noch wird gekauft. Und egal, wer da bereits mit hochgezogener Augenbraue auf den Ausstieg oder eine tadellose Short-Chance lauert: Solange gekauft wird, ist es nicht sinnvoll, in größerem Umfang dagegenzuhalten. Zumal diese Jahresend-Rallyes ja einem gewissen Fahrplan folgen, indem sie Richtung Jahresende bestimmte Haltestellen ansteuern in der Hoffnung, dass da noch ein paar Passagiere zusteigen oder zumindest nicht aussteigen. Die da sind? Die Charts zeigen es, zunächst anhand des Vorjahres 2023:
Die letzten Notenbank-Sitzungen sollen Hoffnung für das nächste Jahr machen. Immerhin schätzen die Statistiker bei „Fed“ und EZB ja im Dezember die Perspektiven für das Folgejahr neu. Und meist optimistisch, zumal kleine Zinssenkungen die Stimmung zusätzlich aufhellen. Und dass solche Weissagungen dauernd korrigiert werden müssen, weil niemand ernsthaft wissen kann, was kommt, wissen viele Anleger nun einmal nicht. Oder wollen es nicht wissen.
Dann haben wir immer am dritten Freitag des Dezembers die große Abrechnung der Optionen und Futures an der Terminbörse, im aktuellen Fall am kommenden Freitag, sprich am 20.12. Da diese Termine einen Trend meist intensivieren und der gerade aufwärts weist, hält das die Kurse meist stabil. Und dann kommt der Jahresultimo. Und auch das zieht die Kurse, wenn das Jahr eine stark positive Performance zeigte. Um ihr werbendes Schaufenster für potenzielle Neukunden und als Verlockung zum weiteren Zukaufen schön zu schmücken, versuchen Fonds, Pensionskassen und ETFs ihre Performance so gut es geht zu steigern, was dazu führt, dass die stark gelaufenen Aktien gezielt noch mehr gekauft werden und die schwachen eher abgestoßen werden. In einem Jahr mit einem steigenden DAX zieht das die Kurse daher tendenziell höher.
So soll es auch diesmal laufen. Und die Chance, dass die fleißigen Käufer den von den großen Adressen geschriebenen Fahrplan einhalten, steht nicht schlecht. Und dann … ja, was dann?
Der Januar gehört nicht zur Fahrstrecke des Rallye-Zuges
Dann, ab Januar, werden die Karten neu gemischt, wenn man es als Plattitüde ausdrücken mag. Langfristig betrachtet gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Frage, ob davor eine Jahresend-Rallye kam und der Performance eines Januars. Ich habe mir mal die Januar-Performances der letzten 31 Jahre angesehen. In 17 der 31 Jahre war der Januar positiv, einmal nahezu unverändert (2005), 13 Jahre war der Januar negativ. Die folgende Grafik zeigt das für 20 Jahre, alles konnte ich da nicht hineinpacken, sonst würde man nichts mehr erkennen. Also: Es gibt eher keine statistische Vorlage, die einem sagen könnte, ob ein Januar bullisch wird, egal, ob mit oder ohne vorgelagerter Jahresend-Rallye. Aber eines fällt auf – und das ist auch völlig nachvollziehbar:
Wenn die Rahmenbedingungen bärisch sind und/oder der Markt heißgelaufen ist, dann ist die Neigung der großen Adressen, die „unten“ eingestiegen sind und den Zug ins Rollen brachten, ihre satten Gewinne mitzunehmen und, wenn die Nachfrage es zulässt, auch Positionen deutlich zu reduzieren oder Short zu gehen, hoch. So beispielsweise im Januar 2000. Oder, die folgende Grafik zeigt es, im Januar 2008. Und dieser Chart zeigt auch:
Bis zum Fahrplanende an Silvester 2007 deutete nichts auf ein böses Erwachen hin. Klar, wer wollte, wusste, dass da gerade eine gewaltige Blase am US-Immobilienmarkt platzt, was fatale Folgen für die Weltwirtschaft haben muss. Aber all diejenigen, die den Dezember 2007 brav nach Fahrplan und somit kaufend absolviert haben, wussten es nicht oder wollten es nicht wissen.
Diese Grafik ist wichtig, denn aktuell haben wir wieder einmal keine positiven Rahmenbedingungen und einen DAX auf Rekordniveau. Und die Jahreswende ist nahe. Das heißt nicht, dass es auch diesmal spätestens Anfang Januar auf einmal Aktien hageln muss. Aber es heißt, dass es sehr klug wäre, das nicht einfach auszuschließen und sich entsprechend abzusichern!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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