Insgesamt gesehen hat der Aktienmarkt seit dem Corona-Crash eine Vielzahl von „Stressfaktoren“ überstanden, die alle eine große Abwärtswende hätten einläuten können. Aber das passierte nicht. Deswegen neigen immer mehr Anleger dazu, Risiken zu ignorieren, nach dem Motto: Es passiert ja sowieso nichts. Die Börsenhistorie lehrt, dass genau das die Sache erst richtig gefährlich macht. Aber wie erkennt man, dass die Hausse vorbei ist … und was wäre dann zu tun?
Börse hat nicht nur ein bisschen mit Emotionen zu tun, eigentlich wird sie von ihnen völlig dominiert. Und das zu jedem Zeitpunkt. Was unter anderem dazu führt, dass sehr viele – sogar erfahrene – Anleger glauben, es müsse das Ziel sein, genau am Tief zu kaufen und genau am Hoch zu verkaufen. Denn das würde sich eben maximal gut anfühlen, den optimalen Gewinn bringen. Das sagen einem die Emotionen. Die Logik, die einem sofort klar machen würde, dass man sich Unmögliches wünscht, hat da nichts zu melden.
Eine Logik, die einem sagen würde: Wenn ich vorher wissen kann, wo das Hoch sein wird, können das alle anderen ja auch wissen. Aber wenn jeder weiß, wo „oben“ ist, kauft da ja schon nahe dran keiner mehr. Wenn aber da keiner mehr kauft, kommt der Kurs gar nicht an diesen Zielpunkt heran und dreht bereits vorher. Vice Versa gilt das für untere Wendepunkte.
Ein Trendbruch findet nie ganz nahe an einem Hoch statt … damit muss man leben können!
Aber das ist ja noch nicht alles, was einem die Realität so an Stöcken in die Speichen eigener Wünsche wirft. Es ist ja nicht einmal klar erkennbar, dass ein Kurs von X am Tag Y das Hoch ist. Da ist dann nämlich kein Gipfelkreuz zu sehen, und zum idealen Ausstieg wird im Börsensaal auch nicht mit einem Glöckchen geklingelt.
Dass da ein Hoch war, kann man dann als sicher verbuchen, wenn von dort ein Rücksetzer beginnt und der sich zu einer Korrektur auswächst. Und wenn die dann wider Erwarten nicht stoppt, der Kurs nicht dynamisch nach oben dreht, wo er drehen sollte, indem er Chartmarken durchbricht, die eigentlich hätten halten müssen, ja dann wissen wir: Hoppla, da hatten wir ein Hoch!
Was bedeutet: Es wäre zwar nett, schon nahe an einem Hoch zu wissen, dass daraus ein Trendbruch wird, aber so läuft es eben nicht. Denn wenn Sie an einem Punkt, von dem Sie erst später ahnen, dass er ein Hoch oder zumindest ein Zwischenhoch sein könnte, nicht wissen, was Sie selbst wo und wann tun werden, wenn sich die Kurse ab jetzt so oder so entwickeln, geht es allen anderen ja auch so. Trends sind „lebendig“. Und was heute klar scheint, kann morgen auf einmal Makulatur sein. Was z.B. hieße:
Sicher ist an der Börse nichts … aber das darf nicht dazu führen, dass man alles laufen lässt
Eine klar wirkende obere Wende wird nicht, wie man es erwarten könnte, zu einem Abwärtstrend, sondern zu einer Bärenfalle, indem ein Kurs plötzlich im charttechnischen Nirgendwo dreht und senkrecht nach oben saust und das alte Hoch, das wie in Stein gemeißelt wirkte, einfach überrennt. Das passiert. So gesehen kann (und sollte) man zwar einen Plan haben, eine Strategie, die vorsieht, was in welchem Fall zu tun ist. Aber eine Garantie dafür, dass dann alles auch sauber und dauerhaft optimal funktioniert, haben Sie nie.
Aber bedeutet das, dass man sowieso nie weiß, was passiert und daher einfach mal aus dem Bauch heraus agieren und immer investiert bleiben kann (oder sogar sollte), statt sich mit der Kursentwicklung zu befassen und einzugreifen, wenn es nötig scheint?
Nein, das bedeutet es auf keinen Fall. Denn nur, weil man sich oft mit dem Unerwarteten konfrontiert sieht und Strategien auch mal nicht funktionieren, heißt das ja nicht, dass ein „laissez faire“ besser wäre als Disziplin und Konsequenz.
Da das letzte Mal, dass Wegschauen und fehlendes Grundwissen brutal bestraft wurden, nunmehr gut 15 Jahre her ist (die geplatzte Subprime-Blase nebst Folgen 2008-2009) scheint es mittlerweile so, als könne nichts passieren. Aber das dachten die meisten damals auch. Vor dem Abriss 2008 ebenso wie vor allen Baissen in der Börsengeschichte zuvor. Denn, um an die eingangs erwähnte Aussage anzuknüpfen: Wären nicht immer zu viele zu leichtsinnig, würde es Crashs und Baissen ja nie geben, weil ein Markt mit ausschließlich besonnenen Anlegern nicht heiß laufen würde. Also, eine Art Grundkonzept braucht’s auf jeden Fall!
Sich vorzusehen ist besser, als später das Nachsehen zu haben
Eine auf den ersten Blick clevere Methode wäre, immer eine Sicherung mitlaufen zu lassen. Aber wenn man sein Depot z.B. mit Put-Optionen absichert, kostet das Geld. Wenn man das direkt vor einer Abwärtswende täte, wäre der Kosten/Nutzen-Faktor natürlich perfekt. Aber da man eben nicht weiß, wann und wo „oben“ sein wird, kann man eine solche Absicherung Monate oder Jahre mitschleppen. Und dann kann das weit teurer kommen als es am Ende den Verlust reduziert.
Besser ist meiner Ansicht nach: hinschauen, beobachten, nachdenken. Und das nicht ab und zu mal, sondern konstant. Warum auch nicht, immerhin hieße das nicht, Nächte vor dem Rechner sitzen zu müssen, da können ein paar Minuten am Tag reichen. Die einem, wieder meine subjektive Ansicht, sein Erspartes wert sein sollte. Natürlich sollte man dazu ein wenig Börsenwissen erworben haben, über Charts, Markttechnik, idealerweise auch über Fundamentaldaten ein wenig Bescheid wissen. Aber das sollte einem sein Geld nun wirklich wert sein, immerhin würden Sie auch kein haarstäubend teures Gerät erwerben und dann einfach ohne Lesen der Bedienungsanleitung daran herumfummeln, bis Sie es dadurch kaputt gekriegt haben. Das unterstelle ich zumindest mal. Aber was kann man da konkret tun, sprich woran könnte man erkennen, dass hier jetzt an der Börse aktuell etwas Größeres passieren könnte?
Indizien für anstehende oder gerade laufende Trendwenden
Ich beschreibe das jetzt für Abwärtswenden, weil „aufwärts“ derzeit ja nur in wenigen Bereichen ansteht, das Prinzip, dann halt spiegelbildlich, gilt für Aufwärtswenden aber genauso.
Ein aus meiner Warte heraus ganz entscheidender Hinweis dafür, dass wir am Markt keinen kurzlebigen Rücksetzer sehen, den man für Zukäufe Long nutzen könnte, sondern etwas faul ist wäre, dass, wie oben schon erwähnt, die Kurse dort nicht aufwärts drehen, wo sie hätten drehen müssen. Oder dass sie dort, wo eine Aufwärtswende generiert werden könnte, nach unten abgewiesen werden.
Das deutet an, dass die Käufer nicht kommen, dafür aber Erholungen für Abgaben genutzt werden und/oder die Bären sich zeigen und die Kurse gezielt drücken. D.h. zuvor unterbotene Unterstützungen, die dann zu Widerständen werden, bleiben Widerstände, ebenso dreht der Kurs an gleitenden Durchschnitten nach unten. Da klingelt die Alarmglocke. Ein Beispiel ist das aktuelle Chartbild des Hang Seng China Enterprises Index, bei dem jetzt passiert ist, was ich unlängst an dieser Stelle schon als Risiko genannt hatte: Die Käufer bleiben weg, eine immens wichtige Unterstützung ist gefallen:
Das heißt nicht, dass es jetzt wie ein Strich abwärts gehen muss, wie gesagt: Alles fließt, die Emotionen regieren, gerade in kritischen Phasen ist daher alles möglich. Aber es zeigt, dass hier etwas äußerst faul ist. Und das erfordert dann konsequentes Handeln. Zweites Beispiel:
Wenn Zwischenhochs unter den vorherigen liegen … und das gleich mehrmals nacheinander und dann Gleitende Durchschnitte (hier ist die 20-Tage-Linie bei den Bären beliebt) zu einem klar erkennbaren Leitstrahl des Kurses nach unten werden, dominieren die Bären offenbar bereits das Geschehen. Hier dann zu glauben, das sei alles nur eine harmlose Korrektur und man könne gelassen die Hand aufhalten und in fallende Kurse hineinkaufen, wäre dann brandgefährlich, im Gegenteil: Bei solchen Chartbildern sollte man schon nicht mehr investiert sein … und wenn, dann trendkonform, will heißen Short!
Mit vollen Segeln ist man zwar schnell, erleidet aber auch am ehesten Mastbruch
Aber bei der Frage, was man ganz konkret tun kann, wenn man ein Aktiendepot hat und sieht, dass die Sache an der Börse aktuell zu kippen beginnt, wird man auf ein simples, immer funktionierendes Rezept lange warten, einfach, weil jede Situation immer etwas anders ist als eine frühere, ähnlich wirkende. Weil andere Akteure mitmischen, die Nachrichtelage sich anders darstellt, die Stimmung nicht dieselbe ist wie bei einem früheren, Fall, der ähnlich zu sein scheint, aber nicht ähnlich genug ist, um als Blaupause dienen zu können. Also, was könnte man tun?
Salopp gesagt: Schauen, dass die Bremsen funktionieren und ein, zwei Gänge herunterschalten. So sorgt man dafür, dass man einem steigenden Risiko am Markt mit einem verminderten Risiko im eigenen Depot begegnet.
Die Bremsen: Stoppkurse bzw. in hoch volatilen Aktien oder Derivaten Stop Loss-Verkaufsorders. Die nicht immer funktionieren, keine Frage, ohne die es aber nicht geht. Sie sollten an den entscheidenden charttechnischen Supportlinien orientiert sein (z.B. beim DAX derzeit an der Zone 18.780/19.045 Punkte und mit einem Sicherheitspuffer von ein bis anderthalb Prozent in einem Index oder zwei bis fünf Prozent bei einer Aktie darunter liegen (abhängig davon, wie volatil der Kursverlauf da üblicherweise ist). Solche Stopps sollten immer da sein und, die Mühe muss man sich einfach machen, regelmäßig überwacht und mit fortschreitendem Trend nachgezogen werden, um immer up to date zu sein.
Die Gangschaltung: Wenn die Schwankungen zunehmen, wenn erste Signale einer Abwärtswende auftauchen, sollte man den Grad des aktiv investierten Kapitals zurückfahren und besonders riskante Positionen verkleinern oder ganz loswerden.
Und nicht nur, wenn es wirkt, als sei bereits etwas in Schieflage, sollte man ggf. ein paar Segel reffen. Wenn die Rallye besonders extreme Züge annimmt und markttechnische Indikatoren heiß laufen, wie wir das derzeit z.B. bei einer Aktie wie JP Morgan sehen, kann es nicht schaden, ein paar Gewinne mitzunehmen. So geht die Kapitalexposition sukzessiv etwas runter, je wilder es rauf geht. Denn ja, mit vollen Segeln ist man zwar am schnellsten, sprich mit randvollem Depot kann man am meisten Gewinn erzielen. Aber man erleidet auch am ehesten einen fatalen Mastbruch.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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