Unter Intermarket-Analyse wird das Studium von zwei oder mehr sich gegenseitig beeinflussenden Assetklassen oder Märkten verstanden. Neben (chart-)technischer und fundamentaler Analyse ist die Intermarket-Analyse ein dritter Ansatz, um Kursentwicklungen zu untersuchen und zu prognostizieren. Dabei werden sowohl technische als auch fundamentale Aspekte beachtet. Aus den Wechselwirkungen zwischen Aktien, Anleihen, Rohstoffen und Währungen können Schlüsse über Geldflüsse sowie Stärken und Schwächen einzelner Märkte gezogen werden. Denn alle großen Anlageklassen entwickeln sich in einer gewissen Abhängigkeit zueinander und unterliegen dabei zyklischen Schwankungen und Trends. Auch Trendwechsel können mittels der Intermarket-Analyse frühzeitig antizipiert werden.
So können beispielsweise schwächelnde Währungen der beiden Rohstoffländer Kanada und Australien darauf hindeuten, dass sich die weltweite konjunkturelle Lage etwas eintrübt. Denn offensichtlich werden nicht mehr so viele Rohstoffe nachgefragt, um den Wechselkurs stabil zu halten. Die Schlussfolgerung könnte sein, dass sich das globale Wirtschaftswachstum abschwächen könnte, mit entsprechend negativen Folgen für die Aktienmärkte.
Wesentliche Erkenntnisse von John Murphy, dem Vater der Intermarket-Analyse
Der US-amerikanische Finanzanalyst John Murphy machte die Intermarket Analyse in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts populär. Seine wesentlichen Erkenntnisse waren:
- Aktien- und Anleihenkurse bewegen sich tendenziell gleichläufig und haben eine positive Korrelation.
- Anleihenkurse laufen den Aktienkursen meist voraus und eignen sich daher als Frühindikatoren.
- Die Preise von Anleihen und Rohstoffen bewegen sich in der Regel gegenläufig und weisen eine negative Korellation auf.
- Ein steigender USD wirkt sich negativ auf die Rohstoffpreise aus, während ein fallender USD steigende Rohstoffpreise begünstigt.
- Steigt der USD, so steigen meist auch Aktien- und Anleihenkurse, es besteht eine positive Korrelation.
Der idealtypische Verlauf eines Konjunkturzyklus gemäß John Murphy
Gemäß John Murphy leitet die Intermarketanalyse aus den einzelnen Anlageklassen einen idealtypischen Zyklus ab. In Phase eins herrscht Liquiditätsbedarf, Aktien, Anleihen und Rohstoffe fallen und es entsteht ein allgemeiner Konjunktur-Pessimismus. Die Anleihenkurse beginnen dann jedoch zu steigen, da diese als „sicherer Hafen“ angesehen werden. Schließlich drehen auch die Rohstoffpreise nach oben und im Anschluss die Aktienkurse. Die Anleihenkurse beginnen ab einem gewissen Punkt wieder zu fallen, da der Inflationsdruck zunimmt und das Zinsniveau steigt. In der letzten Phase fallen Anleihen und Rohstoffpreise, während Aktien ein Hoch erreichen. Hier eine Übersicht der fünf Phasen des Konjunkturzyklus.
Die 5 Phasen eines Wirtschaftszyklus und Ihre Auswirkungen auf die wichtigsten Assetklassen
Phase 1: „Cash is king“
Gewinnmitnahmen bei Aktien und Rohstoffen, sowie Liquidierungen von gehebelten Positionen, hoher Liquiditätsbedarf der Anleger, auch die Kurse von Anleihen fallen.
Beispiele: 2000 bis 2001 nach dem Platzen der Dotcom-Blase, Corona-Crash Februar bis März 2020
Phase 2: Allgemeiner Pessimismus
Anleger suchen nach sicheren Häfen wie dem Staatsanleihenmarkt, gleichzeitig senken die Zentralbanken die Zinsen. Daher steigen die Kurse von Anleihen, während sich Aktien und Rohstoffen in einem Bärenmarkt befinden und weiter fallen.
Beispiel: 2001 bis 2002
Phase 3: Die Rohstoffnachfrage belebt sich
Niedrige Rohstoffpreise und sinkende Zinsen führen zu einer steigenden Nachfrage nach Rohstoffen. Auch Anleihen steigen, während Aktien einen Boden ausbilden.
Beispiel: 2002 bis 2003
Phase 4: Anziehendes Wirtschaftswachstum
Fallende bzw. niedrige Zinsen animieren Unternehmen zu Investitionen und auch der Finanzierungsspielraum von Konsumenten steigt. Die niedrigen Renditen festverzinslicher Anlagen animieren Anleger dazu Aktien zu kaufen. Die Gewinnaussichten der Unternehmen verbessern sich und Aktienkurse steigen
Beispiele: 2003 bis 2005, 2009 bis 2011
Phase 5: Boomphase
Das Wirtschaftswachstum beschleunigt sich, die Unternehmensgewinne steigen deutlich, so dass auch die Aktien- und Rohstoffkurse steigen. Der Inflationsdruck nimmt zu, so dass die Zinsen steigen, während Anleihenkurse fallen. Die Aktienkurse und Rohstoffpreise erreichen die Hochpunkte des Konjunkturzyklus.
Beispiele: 1999 bis 2000, 2005 bis 2007, 2017 bis Anfang 2020
Die Intermarket-Analyse hilft Investoren bei Anlageentscheidungen
In der Realität gibt es immer wieder Abweichungen von diesem Prinzip, da sich die Rahmenbedingungen in jedem Zyklus etwas voneinander unterscheiden. Das Modell liefert jedoch einen guten Hinweis auf Zusammenhänge und Korrelationen, die man als Anleger im Blick haben sollte. Ein Verständnis darüber, welche Konjunkturphase gerade vorherrscht, kann beispielsweise bei der Entscheidung helfen in welche Assetklasse investiert werden sollte bzw. für welche Anlageklasse eine Über- oder Untergewichtung sinnvoll wäre. So ist es beispielsweise in der Spätphase eines Aufschwungs möglicherweise eine gute Entscheidung von zyklischen Aktien wie Chip- und Automobilaktien in defensivere Konsumgüter- oder Versicherungswerte zu wechseln.
Nach einer längeren Abwärtsphase an der Börse kann beispielsweise ein steigender Kupferpreis ein erster Lichtstreif am Horizont sein, denn bei einer Konjunkturbelebung zieht der Kupferpreis oft als einer der ersten Rohstoffpreise an. Da sich der Zustand der Wirtschaft anhand der Kupferpreisentwicklung oftmals gut diagnostizieren und prognostizieren lässt, wird Kupfer von Marktteilnehmern scherzhaft auch „Dr. Copper“ genannt. Ein vorsichtiges Erhöhen der Aktienquote kann überlegt werden.
Aufgrund von Niedrig- bzw. Negativzinsen und massiven Eingriffen der Zentralbanken in den Anleihenmarkt wird es immer herausfordernder die Intermarket Analyse effektiv zu nutzen. Denn idealtypische Konjunkturzyklen werden bei permanent niedrigen Zinsen seltener und auch das Zusammenspiel der Anlageklassen von Anleihen, Rohstoffen und Aktien ändert sich. So sind Aktien- und Anleihenkurse in den letzten 20 Jahren oft über längere Strecken negativ korreliert.
Deshalb sollte sich ein Anleger nicht starr an der Intermarket Analyse orientieren, sondern die jeweiligen Rahmenbedingungen sowie fundamentale und charttechnische Aspekte in seine Überlegungen miteinbeziehen.