Sell in May and go away: Was ist dran an der Börsenregel?

von Ronald Gehrt
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Eine Börsenregel auf dem Prüfstand: „Sell in may and go away“ … immer wieder stellen sich Investoren die Frage: Sollte man dieser Regel folgen? Taugt sie wirklich etwas? Und wenn ja, wieso eigentlich? Nehmen wir es gleich vorweg: Sie taugt nichts. Aber diese Regel besteht aus zwei Teilen. Und mit dem zweiten, meist „geschluckten“ Teil dieser Regel sieht die Sache schon ganz anders aus! Sehen wir uns das mal an.

“Sell in May and go away” – Woher kommt die Faustregel?

Vor Jahrzehnten war diese Regel nicht nur schon ebenso gängig wie heute, sie war auch sinnvoll. Tatsächlich war es früher oft so, dass die Phase zwischen Mai und September die deutlich schwächere für den Aktienmarkt war, während die Monate Oktober bis April gut verliefen. Heute ist das anders. Der Grund:

Früher hatten Anleger keinen mit den heutigen Möglichkeiten vergleichbaren Zugriff auf den Aktienmarkt. Und zugleich spielten Dividenden eine noch größere Rolle als heute. Das führte zu folgendem Effekt: Die Anleger nahmen ihre Dividendenzahlungen mit, die meist im April und Mai vollzogen werden und stiegen dann erst einmal aus und vorerst nicht mehr ein, weil sie in der Zeit des Sommerurlaubs keine Möglichkeit hatten, einzugreifen, wenn etwas schief geht. Vergessen wir nicht:

Noch bis Mitte der Neunziger Jahre waren Onlinebanking und ein ortsungebundener Internetzugriff reine Fiktion. Man rief bei der Bank an, um Aktien zu kaufen und zu verkaufen. Und dann zog sich die Sache hin. Bis man wusste, ob man denn nun ein- oder ausgestiegen ist und zu welchem Kurs, da vergingen in den Achtzigern nicht Minuten, nicht Stunden, sondern bisweilen Tage. Und war der Anleger irgendwo in Spanien oder Italien, wurde der Versuch, irgendetwas am Depot zu verändern, zum Abenteuer. Davon abgesehen, dass man nicht einmal mitbekam, wenn die Kurse einbrachen. Heute ist das eben anders. Man kann jederzeit spielend leicht und blitzschnell von überall aus ein- und aussteigen und die Kursbewegungen bequem überwachen.

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Und so überrascht nicht, was wir als Ergebnis unserer Überprüfung dieses „Sell in May“-Phänomens über die letzten 20 Jahre beim DAX finden:

Noch bis Anfang des neuen Jahrhunderts traf diese Regel verblüffend oft zu. Seither ist aber eher das Gegenteil der Fall: Der DAX stieg zwischen Anfang Mai und Ende September in sieben der letzten zehn Jahre. Und nur in acht der letzten 20 Jahre traf diese alte Regel zu: Schwach.

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Und auch, wenn er in diesen acht Jahren in diesen Monaten fiel: Was bringt es, im Mai auszusteigen und Ende September wieder einzusteigen, wenn der DAX danach ebenfalls fällt? Aber da wird es jetzt interessant!

„But remember to come back in September!”

Nimmt man den Spruch in seiner Gesamtheit, lautet er: „Sell in may and go away, but remember to come back in September“. Nun lässt uns diese Regel im Unklaren darüber, ob man jeweils am Monatsanfang aus- und dann wieder einsteigen sollte … oder am Monatsende … oder ob man die beiden genannten Monate komplett außen vor lassen sollte. Wir haben für die untersuchten 20 Jahre im DAX jeweils den Verkauf unmittelbar Anfang Mai und den Wiedereinstieg am 1. Oktober gemessen. Sie sehen:

Sell in May and go away - Was ist dran an der Börsenweisheit? Chart: Entwicklung im DAX von 1997 bis 2007

Das Ergebnis ist schlecht. Und das gilt für andere Aktienindizes ebenso. Nur in sechs von 20 Jahren ging es zwischen Anfang Mai und Ende September abwärts UND danach bis zum Jahresende wieder nach oben, was ein „come back“ rechtfertigen würde. Und die Trefferquote nimmt ab, je mehr wir uns dem Hier und Jetzt nähern. Seit 2008 gab es nur noch drei Jahre, in denen es zwischen Mai und September bergab ging.

Und wenn Sie sich einmal ansehen, wie sich diese Regel in Relation zum übergeordneten Trend des DAX verhält, stellen Sie fest: Im Endeffekt bewegte sich der DAX in seinen Trends. Meist traf die „Sell in May“-Regel nur zu, wenn der Index sowieso in einem mittelfristigen Abwärtstrend lief oder unvorhersehbare Einflüsse – wie z.B. 2011 Fukushima – auftraten.

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Aber – und das ist etwas, das man werten kann wie eine Erfindung, die versehentlich im Zuge von misslungenen Forschungen nach etwas ganz anderem entsteht, werten: In 18 der 20 Jahre stieg der DAX in den drei verbleibenden Monaten des Jahres. Und das basiert auf einem Effekt der nicht, wie bei „Sell in May“, vom technischen Fortschritt überholt wurde:

Zuversicht. Ein neues Jahr rückt näher, die Analysten und Volkswirte prophezeien fast immer mehr Wachstum im neuen Jahr, oft finden wichtige Wahlen im Herbst statt, die die Hoffnung schüren, dass im neuen Jahr alles besser wird. Und mit diesem damit einhergehenden Optimismus steigen die Kurse, davon abgesehen, dass viele auch auf eine starke Weihnachtssaison setzen und konsumnahe Aktien bzw. Hersteller von Konsumgütern dann einsammeln.

Fazit: Die Statistik lügt nicht

„Sell in May and go away“ ist mit dem technischen Fortschritt zu Grabe getragen worden. Nur, weil eine alte Börsenregel sich reimt, überlebt sie eben nicht den Wandel. Aber dass die Aktienmärkte im vierten Quartal tendenziell fester gehen, ist als „Abfallprodukt“ dieser Untersuchung ein Aspekt, den man im Hinterkopf behalten sollte. Aber …

… nur im Hinterkopf. Denn warum sollte man blind Anfang Oktober kaufen, wenn die Aktienmärkte oft auch in der angeblich „schlechten“ Zeit zwischen Mai und September zulegen und man auf ein ganzes Füllhorn an Instrumenten der Technischen Analyse zugreifen kann (was vor 20, 30 Jahren ebenfalls nicht so ohne weiteres möglich war), das Signale generiert, mit denen man mit einem guten Chance/Risiko-Verhältnis Ein- und Ausstiegspunkte identifizieren kann? Sell in May and go away“ … dieser Spruch wird auch in den kommenden Jahren immer und immer wieder im April und Mai in den Medien auftauchen. Aber jetzt wissen Sie: Er gehört in die Mottenkiste!

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