Wenn irgendein Unternehmen schwache Bilanzzahlen abliefert oder den Ausblick senkt, ist immer von China die Rede. Die schwache Nachfrage dort drücke Umsatz und Margen, das hört man aus der Chemiebranche, der Medizintechnik, der Luxusgüterindustrie und von den Auto- und Maschinenbauern. Chinas Regierung versucht, das Wachstum dort zu beleben. Aber ob das am Ende eine gute Sache wird, ist zumindest fraglich.
In der nächsten Woche wird nicht nur die US-Wahl die Schlagzeilen bestimmen, auch das Thema China dürfte wieder brandaktuell werden. Denn über die bisherigen Maßnahmen hinaus hat man in Peking weitere Stimulus-Schritte angekündigt, die aber bislang noch nicht konkretisiert wurden. Zwischen dem 4. und dem 8. November wird das chinesische Parlament zusammentreten. Zwar kann Chinas Regierung eigentlich auch ohne dieses Parlament tun, was sie will. Aber es darf vermutet werden, dass man die bis dahin ausgearbeiteten, neuen Maßnahmen dort abnicken lassen will.
Man hofft auf steuerliche Entlastungen in China … aber wird das wirklich etwas ändern?
Was da beschlossen wird, wird aufgrund des Umstands, dass die schwache Nachfrage in China – sei es der Investitionsbereich oder der Konsum – für immens viele US- und Eurozone-Unternehmen von größter Bedeutung ist, die Aktienmärkte in Bewegung versetzen. Denn was man bislang an Stimuli beschlossen hat, weist eine entscheidende Schwäche auf: Da ist wenig bis nichts für den sprichwörtlichen „Mann auf der Straße“ dabei.
Zwar hat Chinas Notenbank die Leitzinssätze mehrfach gesenkt, die Richtschnüre für den Zinslevel bei Ratenkrediten und Hypotheken darstellen. Aber ansonsten ging es vor allem um Stimuli für die Banken und die massiv wankende Immobilienbranche. Das mag diese eine Zeit lang stabilisieren. Aber Schmerztabletten zu verabreichen heilt die Krankheit nicht. Und das gilt genauso für billigere Kredite. Denn die Verbraucher damit an die Front schicken zu wollen, würde voraussetzen, dass die auch wirklich mehr auf Kredit kaufen würden und das bislang nur deswegen nicht getan haben, weil ihnen diese Kredite zu teuer sind. Aber das ist eben mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Punkt.
Deshalb geht man davon aus, dass Chinas Regierung jetzt auch an das Thema Besteuerung herangeht. Und grundsätzlich wäre das auch der einzige Weg. Denn wenn ich mehr in der Tasche habe und damit mehr kaufen kann, ohne einen Kredit aufnehmen zu müssen, kann das einiges ändern, in einem Land, in dem schon zu viele zu lange zu viele Kredite aufgenommen haben. Es kann, aber es muss nicht. Und ob das die derzeit schwachen Investitionen der Unternehmen befeuert oder dann auch teurere Konsumgüter wie Luxusartikel oder teurere Autos wieder mehr gekauft werden, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Der Karren steckt im Morast … noch stärker zu schieben, ist da nicht unbedingt klug
Zurück zum Thema der das alles auslösenden „Krankheit“. Deren Name ist „Schulden“ … und zu viele chinesische Konsumenten haben sich von ihr anstecken lassen, weil sie sie nicht nur für harmlos, sondern sogar für förderlich hielten. Als China begann, sich zu einer Industriemacht zu entwickeln, sollte das schnell passieren. Man baute auf die gewaltigen Ressourcen des Landes und wollte Europa, Japan und den USA so schnell wie möglich ebenbürtig sein. Aber das funktioniert nur, wenn man neben dem Export auch das Binnenwachstum und den Konsum massiv anschiebt. Das passierte entscheidend über den Immobilienmarkt und Kredite. China erlebte einen Bauboom … aber der schoss über das Ziel hinaus:
Die Preise für Immobilien stiegen massiv, aber zugleich entstand ein Überschuss an Wohnraum, weil viele, die diesen hätten besetzen können, die explodierten Preise nicht bezahlen konnten (oder wollten). Man könnte sagen, dass China den Wunsch, so schnell wie möglich zur entscheidenden Größe in der Weltwirtschaft zu werden, mit dem Preis einer Immobilienblase bezahlte … und dabei ignorierte, dass die USA ihnen durch deren Immobilienblase zu Anfang des Jahrhunderts vorgemacht hatten, wie man es nicht machen sollte. Jetzt steckt der Karren im Morast: Die großen Immobilienkonzerne sind weiter zu einem großen Teil massiv in Nöten, die Immobilienpreise bröckeln ab, Wohnraum steht oft ungenutzt herum.
Da nun Banken die Kreditvergabe zu erleichtern und die Bedingungen für den Kauf weiterer Immobilien herunterzufahren ist nichts anderes als eine Schmerztablette: Es dämpft die aktuellen Symptome, aber es heilt nichts. Im Gegenteil. So versucht man, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, indem man einen durch zu viel Kredit in den Sumpf gefahrenen Karren durch noch viel mehr Kredite wieder aus dem Morast holen will. Das erinnert an ein im Matsch festgefahrenes Auto: Wenn die Reifen schon durchdrehen, ist Vollgas zu geben der eindeutig falsche Weg.
Nach Boom kommt Baisse … es wäre besser, das zu akzeptieren
Ein problematischer Lösungsansatz also, nicht zuletzt deswegen, weil der Schuldenberg schon zu hoch ist, weil man versucht hat, was man in Europa und den USA auch schon versuchte: den normalen Konjunkturzyklus auszutricksen, indem man Schwächephasen durch Wachstum auf Kredit ausmerzt. Nur führt das eben dazu, dass, wer es sich irgendwie und nötigenfalls eben massiv auf Pump leisten konnte, oft schon alles hat: das zweite oder dritte Auto, den x-ten Fernseher, neue Möbel, eine renovierte Wohnung, ein Ferienhaus etc.
Zwar haben in den USA und Europa die Inflation und der Zinsanstieg das Phänomen noch verschärft, weil deswegen vieles an Investitionen und Anschaffungen vorgezogen wurde, das man jetzt eben erledigt hat, so dass das Auftrags- und Nachfrageloch nicht überraschen kann, in dem viele Unternehmen sitzen. Ein typisches Beispiel dafür war die kürzlich lancierte Meldung, dass die europäische Fahrradbranche weiterhin mit rückläufigen Absatzzahlen ringt und erst 2026 eine Erholung erwartet. Erst kam der Boom … und jetzt eben die Baisse, weil sein neues Rad hat, wer es haben wollte.
Aber auch ohne dieses in China großenteils ausgebliebene Phänomen ist es eben zweifelhaft, dass man Unternehmen und Verbraucher, die ohnehin schon durch das jahrelange Voranpeitschen des Wachstums zu viele Schulden haben, durch billigere Kredite und laxere Sicherheitsvorkehrungen für die Finanzindustrie animieren könnte, noch mehr Kredit aufzunehmen. Nicht, nachdem sie gerade live erleben, wie die Rechnung dafür aussieht. Zumal besonnene Menschen ja verstehen müssten:
Das, was China jetzt in die Bredouille gebracht hat, würde so ja nur übertüncht, das Problem der Überschuldung aber zugleich größer, so dass der Zusammenbruch des Kartenhauses nicht verhindert, sondern nur auf der Zeitachse nach hinten verschoben wird. Und dann eher noch schlimmer ausfallen würde. Deshalb setzen viele auf diese angekündigten, aber noch nicht konkretisierten, weiteren Maßnahmen der Regierung, aber:
Verbraucher sind nicht einfach nur Rädchen im Getriebe – es müsste Vertrauen aufgebaut werden
Auch wenn Peking jetzt, wie man es vermuten darf, an Steuersenkungen herangeht, ist das kein Selbstläufer für mehr Wachstum und weniger konjunkturelles Absturzrisiko. Denn auch, wenn dann auch Verbraucher mit geringem oder mittlerem Einkommen in das Maßnahmenpaket einbezogen würden:
Die Leute sehen doch, dass die Sache gerade nicht rund läuft. Und sie sehen eine Regierung, die alle möglichen Maßnahmen „raushaut“, was an das „Gießkannen-Prinzip“ erinnert: Überall reichlich gießen und hoffen, das irgendwas dann schon wachsen wird. Schuld ist aber die Wachstumsphase à la Brechstange der vergangenen Jahrzehnte, ebenso wie bei uns vieles im Argen liegt, weil man nach Subprime- und Euro-Krise die Probleme nicht löste, sondern mit Nullzinsen zugekleistert hat. Wenn solche zugedeckten und daher dann nicht mehr sichtbaren Wunden aufbrechen, sind sie meist schon massiv entzündet. China versucht gerade das Gleiche.
Aber in China ist der Kapitalismus (in seiner chinesischen Version) noch relativ neu. Ich würde mich nicht wundern, wenn viele dort genauer darüber nachdenken, als es hier der Fall wäre, ob sie mit durch Steuersenkungen höherem finanziellen Spielraum und etwas billigeren Krediten wirklich wie ein Zahnrädchen im Getriebe Pekings loslaufen und sich ein teures Auto leisten. Würden Sie das tun, wenn Sie gleichzeitig mit Sorge registrieren, dass der Immobilienmarkt trotz jahrelangem Gewurstel nicht auf die Füße kommt, die Verbraucherstimmung wackelt und die Symbole für das Wohl und Wehe der Wirtschaft in Form der Aktienindizes ebenso?
Eben. Es wäre daher ziemlich gewagt zu glauben, in China würden Unternehmen und Konsumenten tun, was wir selber nicht tun würden. Man müsste das Zutrauen stärken, eine positive Erwartung an die kommenden Jahre aufbauen. Doch diese bisherigen Maßnahmen, die nach dem Motto „viel hilft viel“ wirken, als würde die Hütte längst stärker brennen, als man es bislang dachte, bewirken eher das Gegenteil.
Auch, wenn die US-Wahl die Aktienmärkte nächste Woche wohl in starke Schwankungen versetzen wird: Wenn es zutrifft, dass Chinas Regierung die Konkretisierung der avisierten, weiteren Konjunkturmaßnahmen in die Phase der Parlamentssitzung legt, wird China nächste Woche womöglich noch weit mehr an richtungweisenden Impulsen liefern als die Wall Street – und die könnten zwar, müssen aber keineswegs nach oben führen!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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