Die Rahmenbedingungen sind derzeit gut für den Online-Autohändler Auto1. Hinzu kommt, dass die Aktie kommenden Montag in den MDAX aufsteigt. Und eine große Bodenbildung, die wurde zuletzt auch noch vollendet. Was kann da für die Bullen schon schiefgehen? Einiges.
Die Kunden sind sauer: Die Preise für Neuwagen sind dermaßen gestiegen, dass man es sich zweimal überlegt, ohne Not einen neuen Wagen zu kaufen. Zumal man nicht umhin kommt zu bemerken, dass die großen Autokonzerne im Kielwasser der Inflation recht großzügig bei der Gestaltung ihrer Preiserhöhungen waren. Da bieten sich günstige Alternativen an, die die Online-Plattform Auto1 bietet. Hier werden Fahrzeuge angekauft, ggf. aufgemöbelt und verkauft. Die Umsätze steigen. Und im jetzt endenden Jahr dürfte erstmals unterm Strich der Bilanz die schwarze Null erreicht werden.
Kein Wunder, dass die Aktie zuletzt aus ihrem Dornröschenschlaf einer seit Frühjahr 2022 andauernden Bodenbildung in Form einer „Untertasse“ erwacht ist. Die relevanten Widerstandslinien bei 10,26, 11,98 und 12,64 Euro wurden in den vergangenen Wochen wie nichts überboten. Der nächste größere Widerstand würde aus rein charttechnischer Sicht erst bei 28,19 Euro warten. Es wirkt, als wäre dieser kräftige Anstieg der letzten Wochen und Monate erst der Beginn einer gigantischen Hausse. Aber es könnte auch anders kommen.
Expertenmeinung: Denn auch, wenn sich Auto1 etabliert hat und man jetzt darauf setzt, dass die Netto-Gewinnzone erreicht und in Zukunft auch nicht mehr verlassen wird: Die Aktie ist ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Angenommen, die Analysten bekämen Recht und der Online-Händler würde 2025 0,18 Euro Gewinn/Aktie erreichen: Das Kurs/Gewinn-Verhältnis läge für den Gewinn des kommenden Jahres schon jetzt bei 82. Das ist riskant teuer.
Hinzu kommt, dass eine Aktie, die dermaßen schnell und weit zulegt, natürlich markttechnisch heiß läuft. Der RSI-Indikator, den Sie im Chart unten mit eingeblendet sehen, ist so überkauft wie noch nie in der knapp vierjährigen Börsenhistorie der Aktie.
Und dann wäre da noch diese Sache mit dem Aufstieg vom SDAX in den MDAX. Der entscheidend durch diese Rallye befeuert wurde, weil die Aktie dadurch eine viel höhere Marktkapitalisierung hat und deswegen für den Aufstieg erst in Frage kam. Wie viele Anleger und große Adressen ahnten den Aufstieg und wollten bereits dabei sein, bevor diejenigen Institutionellen, die den MDAX als Benchmark haben, kaufen müssen? Wie viele werden, fast doppelt so teuer wie vor Beginn der Super-Rallye Mitte November, dann noch kaufen wollen? Könnten der Aktie nicht nach dem Aufstieg die Käufer ausgehen und der Kurs, charttechnisch bis hinunter in den Bereich 10,26 zu 12,64 Euro frei in der Luft hängend, in ein Luftloch fallen?
Es wäre nicht der erste Fall dieser Art, der „Aufstiegs-Fluch“, begründet durch die Manie, im Vorfeld eines Index-Aufstiegs wie wild zu kaufen, taucht öfter auf. Nach einer 87-Prozent-Rallye seit dem 12. November und dem Problem, dass die nächstgelegenen Ankerpunkte, an denen man einen Stoppkurs festmachen könnte, meilenweit unter dem aktuellen Kurs liegen, sollte man besser nicht die einstigen Hochs aus dem Jahr 2021 als Orientierung nehmen, sondern wie bei jedem ins Extreme mutierten Anstieg vor allem nach unten schauen. Und wem da – zu Recht – schwindlig würde, wäre gut beraten, sich erst einmal fernzuhalten.
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Auto1 könnte nicht nur vor einem Kaufsignal stehen, sondern auch geschäftlich den Wendepunkt erreicht haben. Jetzt zuschlagen?
Börse Deutschland: Ein Minenfeld
Die meisten deutschen Börsengänge haben den Aktionären nichts als Ärger und Verluste beschert, und bisher trifft das leider auch auf Auto1 zu. Der Abverkauf ist aber nicht nur hausgemacht und selbstverschuldet, auch externe Faktoren hatten negative Auswirkungen.
Die Bewertung war beim Börsengang sicherlich ambitioniert, doch das ist im Endeffekt immer der Fall. Statistisch gesehen sind IPOs ein schlechtes Investment, das gilt nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA. Die Bilanz der Neuemissionen, die während des Aktienbooms von 2021 stattgefunden haben, ist aber noch deutlich schlechter als im langjährigen Durchschnitt.
Hinzu kam, dass unprofitable Wachstumsaktien wie Auto1 ab 2022 aus der Mode kamen. Als die Wachstumsstory bei Auto1 dann endete und der Umsatz sogar rückläufig war, zogen immer mehr Anleger die Reißleine. In Summe hat das zu massiven Kursverlusten von über 50 auf derzeit 7 Euro geführt.
Aufkeimende Hoffnung
Doch so langsam zeigt die Aktie Lebenszeichen, und das nicht ohne Grund. Die letzten Quartalszahlen haben einen Kurssprung ausgelöst, denn Auto1 hat an der Profitabilitätsfront erhebliche Fortschritte erzielt.
Man ist zwar noch weit entfernt davon, schwarze Zahlen zu schreiben, aber die Richtung stimmt und das ist es, was man an der Börse sehen will. Es gibt genug Anleger, die bereitwillig Aktien von unprofitablen Unternehmen kaufen, wenn sich die Kennzahlen in die richtige Richtung entwickeln.
Bei Auto1 scheint man einen Richtungswechsel vollzogen zu haben. Das oberste Ziel ist nicht mehr ein möglichst großes, sondern effizientes und ertragreiches Geschäft. Profitabilität vor Wachstum.
Nachdem man 2022 noch ein EBITDA von -165,6 Mio. Euro erzielt hat, hat sich die Lage im letzten Geschäftsjahr sukzessive verbessert. In Summe lag das EBITDA bei -43,9 Mio. Euro, wobei nahezu der gesamte Verlust im ersten Halbjahr angefallen ist.
Das ist ein Meilenstein
Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres war das EBITDA mit +17 Mio. Euro erstmals deutlich positiv. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass man weniger Autos von Händlern kauft („Remarketing“) und stattdessen auf private Verkäufer setzt.
Dadurch ist der Umsatz im Remarketing-Segment wie im Vorjahr, auch im ersten Quartal 2023 wieder gesunken (-24,6 %). Dadurch ist der Konzernumsatz auf Jahressicht zwar zurückgegangen, aber der Rohertrag je Fahrzeug um 18,8 % auf 993 Euro gestiegen.
Noch deutlich besser sieht es im Retail-Geschäft aus, dort konnte der Rohertrag auf Jahressicht um 45 % auf 1.956 Euro pro Fahrzeug gesteigert werden. Auf das Retail-Geschäft entfällt aktuell etwas weniger als ein Fünftel der Konzernumsätze.
Summa Summarum: Der Umsatz war in Q1 von 1,51 auf 1,45 Mrd. Euro leicht rückläufig, das Rohergebnis hat sich jedoch von 132,0 auf 162,9 Mio. Euro verbessert. Das EBITDA kletterte von -25,1 auf +17,0 Mio. Euro.
Wendepunkt erreicht
Die Vorräte beliefen sich auf 517,6 Mio. Euro. Da der Umsatz bei 1,45 Mrd. Euro lag, lässt daraus schließen, dass ein Auto durchschnittlich keine zwei Wochen bei Auto1 steht, bis es wieder verkauft wird. Das sind beeindruckende Umschlagszahlen.
Nach den Fortschritten im ersten Quartal hat Auto1 die Prognose für das Rohergebnis 2024 von 565 – 625 auf 570 – 650 Mio. Euro erhöht. Das bereinigte EBITDA soll bei 20 – 40 Mio. Euro statt Breakeven liegen.
Es ist schwer abzusehen, wann Auto1 wirklich schwarze Zahlen schreibt, aber solange sich die Zahlen in die richtige Richtung entwickeln, wird der Aktienkurs das auch tun.
In anderen Analysen hatte ich das EBITDA bereits mehrfach als Frankenstein-Kennzahl bezeichnet und sehe das auch weiterhin so. Wie mit dieser Kennzahl teilweise die Realität verzerrt wird, ist unglaublich. Zum Beispiel, wenn ein Unternehmen hohe Schulden hat und entsprechend Zinsen anfallen, das „I“ in EBITDA. Es gibt Unternehmen, die bei einem EBITDA von +17 oder sogar +170 Mio. Euro einen Verlust von hunderten Millionen einfahren.
Auto1 sticht positiv heraus
Bei Auto1 ist das allerdings nicht der Fall. Das bereinigte EBITDA lag bei 17 Mio. Euro und dem sind wenige weitere Kosten nachgelagert („ITDA“).
Das EBITDA lag bei 12,3 Mio. Euro, die Abschreibungen belaufen sich auf 10,5 Mio. Euro, was steuermindernd wirkt und mit der Ertragskraft wenig zu tun hat. Daraus resultiert ein EBIT von 1,8 Mio. Euro.
Abzüglich Zinsen in Höhe von 3,8 Mio. Euro bleibt ein Vorsteuerergebnis von -2,0 Mio. Euro. Und da man in Deutschland auch Steuern zahlt, wenn man keinen Gewinn erzielt, liegt das Konzernergebnis am Ende bei -3,5 Mio. Euro.
Man könnte auch sagen, dass Auto1 an die Schwelle zur Profitabilität kratzt. Das bereinigte Konzernergebnis war mit +1,2 Mio. Euro bereits positiv. Die Höhe des Gewinns spielt an dieser Stelle keine Rolle, es geht schlichtweg darum, dass sich der Betrieb von selbst trägt. Das mindert unter anderem das Risiko für größere Kapitalerhöhungen und zunehmende Schulden.
Auto1 legt im Zuge der Quartalsberichte keine Cashflow-Daten vor, doch die Verhältnismäßigkeiten zwischen Betriebsergebnis und Cashflow aus der betrieblichen Tätigkeit der vergangenen Jahre sprechen dafür, dass der Cashflow inzwischen ebenfalls in der Nähe der Null-Linie liegt.
Erwartungen viel zu niedrig?
Derzeit wird erwartet, dass Auto1 erst 2026 einen Gewinn erwirtschaften wird. Die Entwicklungen der letzten Monate mehren allerdings die Hoffnung, dass das bereits früher geschehen wird.
Darüber hinaus erscheint die Prognose, obwohl sie bereits erhöht wurde, zu niedrig zu sein. Warum stellt man für das ganze Jahr nur ein bereinigtes EBITDA von 20 – 40 Mio. Euro in Aussicht, wenn in nur einem Quartal bereits 17 Mio. Euro erreicht wurden und gleichzeitig die Trends positiv sind? Es ist auch nicht so, dass Q1 in den vorherigen Jahren besonders „profitabel“ war.
Die einfachste Erklärung dafür ist, dass man Raum für positive Überraschungen lassen will. Das nächste Update wird Auto1 am 31. Juli um 9:30 Uhr liefern, hier können Sie sich für die Telefonkonferenz über Zoom anmelden (Link). Die eigentlichen Quartalszahlen werden am 11. September veröffentlicht.
Sollte sich der positive Trend verfestigen, könnte Auto1 deutlich früher schwarze Zahlen schreiben, als bisher erwartet wird.
In den USA längst Erfolgsmodell
Darüber hinaus gefällt mir das Geschäftsmodell nicht schlecht. Im Endeffekt kopiert Auto1 ein altbewährtes System aus den USA. Dort gibt es eine ganze Reihe von großen Autohändlern, die auf faire und transparente Preise setzen, darunter beispielsweise Lithia oder Carvana.
Lithia Motors kauft Fahrzeuge an, checkt sie komplett durch und verkauft sie für einen Festpreis. Der Kunde kann sich sicher sein, dass der Zustand des Fahrzeugs in Ordnung und wie beschrieben ist. Ob er den Preis annimmt oder nicht, ist seine Wahl. Jeder weiß, dass Lithia keine Mondpreise verlangt, denn die Margen sind nicht sehr hoch.
Dadurch hat man eine Vertrauensbasis geschaffen und kann Fahrzeuge auch problemlos online verkaufen. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber der Anteil der ungesehen über das Internet gekauften Fahrzeuge steigt unaufhörlich.
Auto1 versucht, dieses Konzept auch in Europa umzusetzen. Wenn man damit Erfolg hat, ist das Geschäft massiv skalierbar. Der Markt für Gebrauchtwagen ist gigantisch und vermutlich so stark fragmentiert wie kein anderer.
Die Aktie hat bereits eine beachtliche Rallye vollzogen, ist übergeordnet aber noch immer im Abwärtstrend. Eine Richtungsentscheidung steht unmittelbar bevor.
Gelingt ein Ausbruch über 7,30 Euro, kommt es zu einem Kaufsignal mit einem Kursziel bei 8,00 Euro. Auf diesem Niveau verläuft auch der Abwärtstrend, kann er überwunden werden, hellt sich das Chartbild nachhaltig auf.
Fällt die Aktie jedoch nachhaltig unter 6,00 Euro, haben die Bullen ihre Chance vorerst vertan.