Rund 30 Dollar je Aktie verlor der Kurs der amazon.com-Aktie vor zwei Wochen nach Bekanntgabe der letzten Quartalszahlen für 2016. Der Markt hatte offensichtlich mehr erwartet. Ob die Erwartungen der Analysten sinnvoll und realistisch waren, spielte wie so oft nur eine untergeordnete Rolle. Schaut man sich die Zahlen näher an, fällt es schwer den massiven Kurssturz zu erklären.
Gewinne rauf – Börsenwert runter
Im letzten Quartal 2016 – dem für amazon.com wichtigen Weihnachtsquartal – stieg der Umsatz des Onlinehändlers um 22 Prozent auf insgesamt 43,7 Milliarden Dollar. Erwartet wurden jedoch mindestens 45 Mrd. Dollar. Andere Unternehmen können von derartigen Wachstumsrelationen hingegen nur träumen.
In der Summe setzte der Online-Riese im Jahr 2016 insgesamt 136 Milliarden Dollar um, was einer Steigerung von 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Zudem konnte der Konzerngewinn von 596 Millionen Dollar auf 2,4 Mrd. Dollar ausgebaut werden.
Die Enttäuschung der Anleger ist nach Betrachtung dieser Zahlen nur schwer zu verstehen. Zumal Amazon bis vor 2 Jahren noch negative Jahres- und Quartalsergebnisse ausweisen musste. Außerdem machte Unternehmensgründer Jeff Bezos niemals einen Hehl aus seiner Strategie. “Wir glauben, dass Skaleneffekte zentral sind, um das volle Potential unseres Geschäftsmodells zu erreichen“, stellte der CEO und Gründer des orangefarbenen Handelsriesen bereits im Jahr 1997 fest. Übersetzt bedeutet dies, dass Wachstum über allem anderen steht. Dass dieser Plan bis zum heutigen Tag hervorragend funktioniert hat und Bezos profitabel arbeiten kann, bestreitet heute niemand mehr.
Zusammenarbeit mit PayPal?
Amazon arbeitet weiter daran, dass das Einkaufen noch einfacher wird. Im vergangenen Jahr wurden dafür die Dash-Buttons eingeführt, die per einfachem Knopfdruck direkt die Bestellung des gewünschten Artikels auslösen und zuletzt sprach das Unternehmen aus Seattle sogar mit PayPal. “Wir hatten Gespräche“, so PayPal Chief Executive Officer Dan Schulman.
Die Möglichkeit einer Zusammenarbeit dieser zwei US-Unternehmen wäre bis vor einiger Zeit noch ausgeschlossen gewesen und ist erst möglich geworden, nachdem der Amazon Konkurrent eBay sich von seiner früheren Tochter PayPal trennte und den Zahlungsdienstleister separat an die Börse brachte.
Die sich offenbar anbahnende Zusammenarbeit wäre definitiv vorteilhaft für beide Seiten, schließlich vereinfacht PayPal schon jetzt die Bezahlung von vielen anderen Onlineshops, bald vielleicht auch von Amazon.
Doch auch ohne die vereinfachte Zahlungsabwicklung via PayPal wächst das E-Commerce-Unternehmen weiter. Im vergangenen Jahr konnte das Unternehmen seine Reichweite in Deutschland deutlich steigern und die deutschen Verbraucher riefen den Onlineshop 4,79 Mrd. mal auf – eine Steigerung von rund 15 Prozent.
Was viele Kunden jedoch nicht wissen, Amazon ist viel mehr als nur ein Onlinehändler, denn bereits im Jahr 2006 startete das Unternehmen damit Serverdienste anzubieten.
Gewinne aus der Cloud
Der Schritt in das Cloud-Geschäft war einer der profitabelsten der Unternehmensgeschichte. Mit dem Tochterunternehmen Amazon Webservice ist Amazon der Weltmarktführer für Cloud-Computing. Zu Amazons Kunden gehören dabei auch große Unternehmen wie Netflix.
Damit wird auch klar, dass egal wie hart Amazon und Netflix mit ihren Filmangeboten und Serienproduktionen gegenseitig um die Gunst der Kunden kämpfen, Amazon gewinnt irgendwie immer, weil das Unternehmen auch im Cloud-Computing aktiv ist und indirekt an den Netflix-Kunden mitverdient.
Und die Bedeutung von Streamingdiensten wächst stetig. Laut einer Greenpace-Studie machen zu Spitzenzeiten bereits mehr als ein Drittel des weltweiten Datenverkehrs Streamingdienste aus, wie die von Netflix oder Amazon Prime.
Im vergangenen Jahr spielte die Cloud-Sparte von Amazon bereits Rekordgewinne ein und allein im letzten Quartal erwirtschaftete die Cloud-Sparte einen operativen Gewinn von 926 Millionen Dollar. Beeindruckend ist dabei die Gewinnmarge von hervorragenden 26 Prozent.
Der Erfolg wird nur dadurch geschmälert, dass Verfolger Microsoft mit großen Schritten aufholt, denn der Softwarehersteller hat für 2018 einen Umsatz von 20 Milliarden Dollar für seinen Cloud Dienst Azure als Ziel ausgegeben. Amazon kommt aktuell auf 12,2 Milliarden. Es bleibt also spannend, wie sich die Machtverhältnisse im Boom-Segment Cloud-Computing zukünftig entwickeln werden.
Der nächste Schritt – Lebensmittel
Jeff Bezos hat in der Vergangenheit allerdings schon des Öfteren gezeigt, dass er immer einen Schritt weiterdenkt und somit ist es nicht überraschend, dass die Cloud-Sparte nicht der letzte Teil im Puzzle des Jeff Bezos ist.
Der Unternehmensgründer hat bereits das nächste Geschäftsfeld ausgemacht. Dieses hört auf den Namen “Amazon Fresh”. Zwei Worte, die unter anderem auch den deutschen Lebensmittelhandel im Visier haben.
“Wir müssen uns warm anziehen“, so kommentiert Rewe-Chef Alain Caparros in der Rheinischen Post die Amazon Bestrebungen im Lebensmittelhandel Fuß zu fassen.
Der deutsche Lebensmittelhandel ist ein lohnendes Geschäft, denn die deutschen Bundesbürger geben jährlich rund 170 Mrd. Euro für Lebensmittel aus. Im Gegensatz zu Büchern, Textilien oder Elektronik spielt der Online-Handel im Geschäft mit den Lebensmitteln bisher keine große Rolle, da ca. nur ein Prozent der Branchenumsätze auf das Internet entfallen.
Der Chef der Rewe-Gruppe Caparros möchte dies ändern und den Online-Umsatz der Rewe Gruppe bis 2020 auf ca. 800 Millionen Euro steigern. “Wir müssen die Verzahnung des stationären mit dem Online-Geschäft hinbekommen”, so der Rewe-Chef. Gelinge dies nicht, würden die aktuellen Marktführer wie Rewe, Edeka etc. bald vom Markt verdrängt.
Amazon selbst hält sich offiziell sehr bedeckt und kommentiert einen möglichen Marktstart in Deutschland nicht. Gerüchte, der Konzern würde in Berlin Tegel ein großes Kühllager bauen, wurden weder dementiert noch bestätigt. Sichere Quellen wissen jedoch, dass das Lager längst fertig sein sollte. Aktuell wird allerdings mit einer Bauverzögerung bis Mai 2017 gerechnet. Viel Zeit bleibt den Lebensmittelplatzhirschen also nicht mehr.
Laut einer aktuellen Studie der Beratungsfirma Oliver Wyman droht der Lebensmittelbranche über kurz oder lang nicht weniger, als eine Revolution, denn mittelfristig dürfte sich ein Umsatz von sechs bis acht Milliarden Euro pro Jahr in den Online-Handel verschieben – das sind gewaltige Summen die dem Lebensmittelhandel verloren gehen und zu großen Teilen direkt in die Taschen von Amazon wandern könnten.
In San Francisco gehören die grünen Amazon Fresh Trucks schon längst zum Stadtbild. Auch in Italien hat Amazon bereits einen, wenn auch abgespeckten, Lebensmittelieferdienst gestartet. Es bleibt also nur eine Frage der Zeit bis Deutschland und auch Großbritannien folgen.
Die Marktforscher von eMarketer gehen davon aus, dass Amazon weiterhin Wachstumschampion bleiben wird, wenn auch auf niedrigerem Niveau als bisher. Dennoch muss man festhalten, dass kein Wettbewerber auch nur annähernd ähnliche Werte erreicht oder überhaupt einen zweistelligen Wert.
Als Anleger sollte man sich über “enttäuschte Analysten” somit eher freuen und könnte kurze Kursrücksetzer zum Nachkaufen nutzen. Langfristig scheint Jeff Bezos Strategie weiter aufzugehen, Analystenmeinungenen hin oder her. Der eingangs erwähnte Kursverlust nach Veröffentlichung der Quartalszahlen wurde mittlerweile jedenfalls schon wieder komplett negiert.
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