In Europa werden die Aktienmärkte von Hoffnung und Gier getrieben, in den USA zeitgleich von Enttäuschungen und Angst gedrückt. Die Volatilität läuft dabei umso heftiger aus dem Ruder, je mehr die Emotionen den Handel bestimmen. Das macht die Kursbewegungen kurzfristig kaum noch berechenbar … aber es existieren charttechnische Schlüsselmarken, deren Überwinden oder Bruch die Sache sogar noch extremer werden ließe.
Die Kurse schaukeln sich an der Börse aktuell immer weiter auf. Was ich in der Vorwochen-Kolumne noch als hohe Volatilität bezeichnete, wirkt nach der vergangenen Börsenwoche wie ein laues Lüftchen. Dass der DAX mal mit einer größeren Kurslücke startet, ist nicht unüblich. Dass diese Lücken aber andauernd über ein Prozent ausmachen und zuletzt täglich auftraten, das ist sehr wohl ein Ausnahezustand. Und an den US-Börsen nimmt die Volatilität ebenso zu, nur bewegen sich die Kurse dort im übergeordneten Bild seit Wochen nach unten.
Diese Divergenz zwischen den beiden Wirtschaftsräumen ist ohnehin eher ungewöhnlich. Aber dass es dabei auch noch derart hektisch zugeht, macht die Sache für Anleger noch kniffliger.

Das Richtige zu tun ist in Phasen wie diesen manchmal Glückssache, aber …
Man hat nicht nur das Gefühl, am Abend nicht ansatzweise absehen zu können, wie die Märkte am nächsten Morgen aufmachen. Man muss auch damit zurande kommen, dass sehr starke Kursbewegungen in jedem Moment auftreten und einen, wenn man zufällig auf der falschen Seite steht, überrollen können. Und das, ohne zu wissen, ob es nicht wenige Stunden oder sogar nur Minuten später in die andere Richtung geht. Man steht also unter dem Dauerstress nie zu wissen, ob und wann es klug wäre, die Positionierung von Long auf Short oder von Short auf Long zu drehen und ebenso nicht absehen zu können, ob ein Impuls andauert und man daher reagieren muss oder nichts zu tun die bessere Wahl wäre.
Natürlich wirkt ein solcher Markt, als würden Chancen hinter jeder Ecke warten. Aber wenn man die Sache mit Abstand betrachtet, versteht man schnell: Weniger Bewegung, dafür aber konstantere Impulse, das bringt zwar kleinere Gewinnchancen, dafür aber eine deutlich bessere Chance/Risiko-Relation.

… es gibt Schlüsselmarken, an denen man sich orientieren könnte
Diese ruhigeren Phasen, die den weitaus größeren Teil der Handelszeit ausmachen, werden wiederkommen, keine Frage. Aber bis dahin muss man sich eben auf „Sturm“ einstellen, indem man, wie letzte Woche schon vorgeschlagen, entschlossen die Segel refft und mit weniger Kapitaleinsatz, weniger Hebel und nie ohne Stoppkurse agiert. Denn wer jetzt zu viel wagt, könnte dann, wenn das Trading wieder einfacher wird, mit weit weniger Geld dastehen als zuvor.
Damit es anders herum läuft, muss man einige entscheidende Schlüsselmarken im Blick haben die, wenn gekreuzt, den Sturm zum Hurrikan machen könnten. Einige dieser Marken lassen sich recht gut ausmachen. Die nicht aus den Augen zu lassen, ist meiner Ansicht nach zwingend, denn wenn sie gekreuzt werden, kann das umgehend immense Reaktionen auslösen und die hektische Börse noch viel hektischer machen.
Vier Schlüssel-Indizes bieten aktuell gut definierbare Entscheidungsmarken
Keineswegs alle Indizes bieten momentan solche charttechnisch fixierbaren Ankerpunkte. Aber letzten Endes kommt es auch nur auf wenige, entscheidende Indizes an. Kippen die oder brechen nach oben aus, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie die mit ihnen verbundenen Indizes mitziehen, recht hoch.
Der als erstes gezeigte Euro Stoxx 50 Index besteht beispielsweise zu etwa einem Drittel aus DAX-Aktien, der S&P 500 umfasst alle wichtigen US-Blue Chips aus Dow Jones und Nasdaq 100 … und der Nasdaq 100 wird von den Mega-Caps des Technologiesektors dominiert. Dazu als vierter im Bunde ein chinesischer Index, denn China wird bei der heimischen Hektik momentan zu wenig beachtet. Eine kleine Chartgalerie aktuell neuralgischer Punkte:
Europas Leitindex könnte den DAX kurzfristig noch mehr befeuern … oder ausbremsen
Vergleicht man die Performance des Euro Stoxx 50 mit der des DAX seit dem letzten markanten Zwischentief von Anfang August, so fällt auf, dass der europäische Leitindex zuletzt nicht ansatzweise mithalten konnte. Daraus ergeben sich zwei Optionen. Sollte der Euro Stoxx 50 nach oben ausbrechen, könnte das dem DAX die zweite Luft geben, immerhin stammen etwa ein Drittel der Euro Stoxx 50-Aktien aus dem DAX. Bricht der Eurozone-Index aber nach unten weg, kann das für die DAX-Hausse durchaus das Ende bedeuten. Und dass sich beim Euro Stoxx 50 kurzfristig etwas entscheiden kann, legt das Chartbild nahe:

Wir sehen, dass der Euro Stoxx 50 über der oberen Begrenzungszone des im Februar nach oben durchbrochenen August-Aufwärtstrendkanals hoch volatil seitwärts läuft. Dabei lassen sich Ansätze einer Trompeten-Formation erkennen, die deutlich macht, dass sich die Kurse immer weiter aufschaukeln. Ein Ausbruch aus einer solchen „Trompete“ ist in der Regel extrem stark, siehe dazu auch die heutige Analyse zu Nordex im LYNX Börsenblick. Behalten Sie den Bereich 5.350/5.380 Punkte im Auge, das ist aktuell, wenngleich noch innerhalb der „Trompete“, ein für die Bullen entscheidender Support.
Nasdaq 100: Vorerst gerettet … aber die Bären wissen, wo sie ansetzen müssten
In den letzten zwei Wochen hat der Nasdaq 100 dramatisch Boden verloren. Während man hierzulande im Haussetaumel unterwegs war, dominierten im US-Tech-Sektor die langen Gesichter. Das hat dazu geführt, dass der Index ein Doppeltopp vollendet und am Donnerstag sogar die wichtige 200-Tage-Linie unterboten hat, die er am Freitag nicht zurückerobern konnte bzw. möglicherweise nur „noch nicht“, denn:

Es gelang, die Anfang 2023 etablierte Aufwärtstrendlinie punktgenau zu verteidigen. Genau dort setzten Käufe ein, das unterstreicht, dass sich das bullische Lager noch keineswegs aufgegeben hat. Jetzt müssten aber umgehend überzeugende Anschlusskäufe kommen, die ausreichen, um die 200-Tage-Linie und die Nackenlinien-Zone des Doppeltopps umgehend zurück zu erobern. Gelingt das, ist die Kuh für die Bullen zunächst vom Eis. Aber die Bären sind eben auch noch da und wissen: Diese Aufwärtstrendlinie ist eine Schlüsselmarke … und der Weg, um sie zu brechen, bislang noch kurz!
S&P 500: Steht besser da als der Nasdaq 100, ist aber auch noch nicht gerettet
Eine Chance für den Nasdaq 100 dürften die Bullen beim Blick auf den marktbreiten S&P 500 sehen, immerhin listet der alle wichtigen Hightech-Aktien ebenso. Kriegt der S&P 500 die Kurve, kann das den Nasdaq 100 mit aus dem Morast ziehen. Der Vorteil hier ist, dass es am Freitag gelang, die zeitweise schon klar unterschrittene 200-Tage-Linie zum Handelsende zu retten, nachdem die Supportzone 5.651/5.670 Punkte gehalten und dies Käufer mobilisiert hatte.

Aber auch hier gilt: In dieser Woche müssten sofort Anschlusskäufe kommen, die stark genug sind, um den Index wieder über das im Chart violett hervorgehobene „Trump Gap“, diese Aufwärts-Kurslücke, die am Tag nach der US-Wahl entstand, zu tragen. Dass der Index derzeit tiefer steht als vor Trumps Wahlsieg, ist für das Bullen-Lager ein psychologisch negativer Aspekt. Den müsste man also erst einmal erfolgreich und vor allem schnell „wegkaufen“, um die Kuh vom Eis zu bekommen.
Hang Seng China Enterprises Index: Hoffnung und Trotz, die nicht bis zu uns reichen
Die hochkochenden Märkte in Europa und den USA führen leicht dazu, einen anderen aus den Augen zu verlieren. Um, wenn man doch mal hinschaut, verblüfft festzustellen, dass die Rallye des Hang Seng China Enterprises Index (kurz HSCEI) gerechnet ab Jahresbeginn sogar noch massiver nach oben führt als die des DAX. Die Überzeugung, gegen den Druck der USA bestehen zu können ebenso wie die Erwartung, dass man in Peking aufgrund dieser Entwicklung noch mehr Stimuli für die Wirtschaft liefern wird, haben die Notierungen dieses Index, der die größten 50 in Hongkong frei gehandelten Aktien aus China listet, wie eine Rakete nach oben getrieben.

Aber die in der Spitze knapp 25 Prozent, die der HSCEI seit Ende 2024 gestiegen ist, basieren eben nicht weniger auf Hoffnung und Gier wie beim DAX und gehen entsprechend mit immensen Risiken auf der Unterseite einher. Die charttechnische Schlüsselmarke wäre hier das Tief des vergangenen Dienstags und das Hoch vom Oktober 2024 im Bereich 8.209 bis 8.373 Punkte. Diese Zone darf nicht brechen, sonst kann eine Korrektur den HSCEI schnell ziemlich weit nach unten führen, denn solche Super-Rallyes haben die Nebenwirkung, dass die Kurse auf ihrem Weg nach oben keine tauglichen Supportzonen ausbilden.
Jetzt müssen die Augen offenbleiben, zumal der März ein besonderer Monat ist
Rational unterfüttert ist an der Börse so gut wie nichts, wenn es um Auffälligkeiten in der Saisonalität geht. Aber für starke Trendimpulse und markante Richtungswechsel sind ja auch höchst selten Fakten, sondern vor allem die Emotionen verantwortlich. Wenn die Richtung erst einmal gedreht hat, werden das Ganze scheinbar begründende Fakten nachgereicht und nötigenfalls halt entsprechend zurechtgebogen. Also sollte man, Logik hin oder her, im März besonders aufpassen, denn er ist für Wendepunkte nun einmal berüchtigt.
Die große Abwärtswende nach der Internetblase im Jahr 2000? Im März. Die Aufwärtsschwenks nach der Baisse 2000-2003 und 2008/2009? Im März, ebenso wie der Upturn nach dem Corona-Crash im Jahr 2020. Dass DAX & Co. in diesem Monat scharf abdrehen und die Korrektur der US-Börsen einer neuen Hoffnungswelle weicht, sprich sich die derzeit konträren Trendrichtungen ins Gegenteil verkehren, wäre also alleine aus der Erinnerung der Investoren heraus denkbar, dass der März irgendwie für so etwas prädestiniert ist. Denkbar heißt nicht, dass es wirklich so kommen muss. Aber es heißt, dass man jetzt auf jeden Fall extrem aufmerksam agieren muss!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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