Jetzt sind sie also da, die US-Einfuhrzölle. Noch nicht für Europa, aber Donald Trump deutete am Wochenende an, dass auch da etwas kommen wird. Man musste damit rechnen, aber so, wie sich der Aktienmarkt bis zum Monatsende des Januars präsentierte, taten viele genau das nicht. Wie kommt es, dass scheinbar so viele nicht mehr auf die Rahmenbedingungen reagieren? Und wie lange geht das gut?
Mit +9,15 Prozent gehört der Januar 2025 beim DAX zwar nicht zu den absoluten Rekordmonaten, aber ungewöhnlich stark ist diese Performance dennoch, wie der unten folgende Chart auf Monatsbasis zeigt, der die Veränderungen, der besseren Vergleichbarkeit wegen, logarithmisch abbildet. Wie ungewöhnlich der Januar war, zeigt sich auch, wenn man mal die 20 stärksten Monate des DAX seit 1960 (vor 1988 zurückgerechnet) hernimmt: Platz 20 hat 11,62 Prozent erreicht … und da blickt man auf 65 Jahre. Da müsste man sich eigentlich sagen: Für einen derart sportlichen Anstieg braucht es gute Argumente. Gibt es die nicht, dann: „take the money and run!“
Zumal die besonders starken Monate der hier gezeigten, letzten zehn Jahre immer entweder auf eine starke Abwärtsbewegung folgten oder es, wie nach der US-Wahl 2016 oder der Hoffnung auf ein baldiges Corona-Ende Ende 2020 Argumente gab, die eine Rallye verständlich machten. Sicher, in den beiden letztgenannten Fällen bauten die Bullen zwar auf Sand. Aber derzeit hat man den Eindruck, dass sie nicht einmal diesen Sand haben.
Ein Aktienindex der steigt, weil er eben steigt, ein Selbstläufer also? Das kommt vor, wenngleich nicht unbedingt oft. Wichtig ist da vor allem zu verstehen, was dahinterstecken könnte, um nicht völlig aus allen Wolken zu fallen, wenn dieses scheinbare „Perpetuum Mobile“ in sich zusammenfällt, sondern vorbereitet zu sein.
Draußen die Welt, drinnen mein Geld: Die Geburt eines „Perpetuum Mobile“
Wenn es darum geht herauszufinden, warum Anleger dies tun oder jenes lassen, landen wir am Ende immer im Bereich von „Behavioural Finance“, sprich der Börsenpsychologie. Und immer wieder bei der eigentlich altbekannten Tatsache, dass viele dazu neigen, sich selbst nicht mitten im Denken und Handeln der Masse zu sehen, sondern sich daneben einordnen, als wären sie Beobachter und anders als die anderen.
Tut man das, ist man nicht weit von dem Schritt entfernt zu glauben, dass man selbst alles im Griff hat, während die „blöde Masse“ keine Ahnung hat. Einfach, weil man selbst gerade erfolgreich ist. Aber hebt man sich selbst auf dieses Podest, stellt man sich eine entscheidende Frage nicht mehr: Warum läuft es bei mir gerade so gut? Habe ich wirklich alles richtig gemacht oder habe ich vielleicht nur … Glück?
Wer die Realität aussperrt, insbesondere Informationen, die für die eigene Selbsteinschätzung ein Risiko sein könnten … z.B. negative Bilanzen und Konjunkturdaten, während man selbst bis zur Halskrause Long ist … koppelt sich selbst, meist höchst zufrieden damit, von relevanten Informationen ab. Man ist dann also nicht in einem Zustand erhöhter Wachsamkeit, weil man um die Risiken des eigenen Handelns weiß, sondern wegen des Abkoppelns des steigenden Depotwerts von den Fakten „da draußen“ ebenso leichtsinnig wie ahnungslos. Und wenn Sie mal Ihre eigenen Gedanken im Spiegel betrachten:
Passiert es Ihnen denn nicht auch bisweilen, dass Sie eine Position halten, die gut läuft und dann unerwünschte Nachrichten einfach ignorieren? Wer versteht, dass man als Anleger ein Teil der Masse ist und somit die meisten anderen genau dasselbe denken und tun wie Sie und ich, weiß:
Wenn ich nur noch auf die immer weiter steigenden Kurse starre, tun andere das auch. Tun das ungewöhnlich viele, steigen die Kurse, weil diese Anleger aus dem Anstieg z.B. des DAX ableiten, das Richtige zu tun, deswegen weiter kaufen, dadurch der DAX erneut steigt und so fort. Das Perpetuum Mobile, unter Ausschluss der Rahmenbedingungen, ist geboren und wirkt unzerstörbar. Denn wenn von außen kein Stock in die Speichen gelangen kann, wie sollte das Rad aufhören, sich immer weiter zu drehen?
Den anderen wird es schlechter gehen … aber mir doch nicht!
Dass dieser ungewöhnlich starke Anstieg des DAX, der zuletzt zudem ohne den Begleitschutz der US-Indizes lief, mit dieser Neigung zusammenhängt, sich von einer risikobehafteten Realität zu lösen, deutet auch das Ergebnis einer Umfrage an, die Forsa im November 2024 für Union Investment durchgeführt hatte und bei der Anleger nach ihrer Einschätzung der konjunkturellen Perspektiven sowie nach ihren eigenen Erwartungen und Plänen gefragt wurden.
Laut dieser Umfrage rechnen 59 Prozent der befragten Anleger für dieses Jahr mit einer weiteren Verschlechterung der deutschen Wirtschaftslage, 31 Prozent erwarten, dass wir auf dem schwachen, jetzt erreichten Niveau verbleiben, nur sieben Prozent glauben, dass wir eine Verbesserung sehen (was zu 100 Prozent fehlt, sind „weiß nicht“-Angaben). Und jetzt wird es interessant:
Auf die Frage hin, wie die Anleger die Entwicklung ihrer persönlichen finanziellen Situation im Jahr 2025 sehen, rechnen 53 Prozent damit, dass diese stabil bleiben wird, 30 Prozent geht davon aus, dass sie sich verbessern wird und nur 16 Prozent fürchten Einbußen beim Vermögen. Wirtschaft abwärts, eigenes Vermögen aufwärts – wie geht das zusammen?
Angesichts dieser Ergebnisse muss es einen nicht unerheblichen Anteil unter den Befragten geben, der zugleich mit einer weiteren Talfahrt der Konjunktur und einem Anstieg des eigenen Geldvermögens rechnet. Und da darf man eben schon vermuten, dass wir hier diese vorbeschriebene Abkopplung des eigenen finanziellen Fortkommens von den äußeren Bedingungen sehen, zumal 64 Prozent der Befragten Investmentfonds besaßen. Das heißt:
Man geht davon aus, dass man in Sachen Krise außen vor ist. Und je länger ein Phänomen wie das eines DAX fortbesteht, der sich von den sonst wegweisenden Rahmenbedingungen nach oben löst, desto mehr Anleger werden so denken … und handeln.
Würde daraus wirklich ein unzerstörbares Perpetuum Mobile, wäre das ja kein Problem. Unzerstörbar ist es aber nicht. Nicht in früheren Fällen, in denen wir dieses Phänomen „draußen die Welt, drinnen mein Geld“ erlebt haben und heute ebenso wenig.
Wer bremst, verliert nicht, sondern kommt heil ins Ziel
Ein Nebeneffekt dieser Abkoppelung war früher und ist auch heute, dass immer mehr Wirkung und Ursache verwechseln. Sie glauben, dass weiter steigende Kurse ein Beweis seien, dass bestimmte Risiken entweder nicht relevant oder bereits eingepreist seien. Wie z.B. den Rücksetzer in Sachen KI-Phantasie vor einer Woche, der beim DAX einfach „weggekauft“ wirkt, ebenso wie das Thema der US-Einfuhrzölle. Man sieht nicht mehr, dass die steigenden Kurse nur der Effekt des eigenen Ignorierens der Risiken sind. Auch und gerade, weil so viele dazu neigen, sich neben, statt in der Masse zu sehen und daher denken, dass sie alleine es sind, die sich von steigenden Kursen zu immer weiteren Käufen animieren lassen, während die Masse den Fakten folgt.
Aber war es wirklich die Einordnung des „DeepSeek“-Schocks als unproblematisch, der den DAX kurz darauf auf die nächsten Rekorde zog … oder war es die Sogwirkung des Ultimos eines besonders starken Monats, verbunden mit immer weiter zunehmender Gier? Liegt man wirklich richtig damit, wenn man unterstellt, dass die jetzt zum 1.2. verhängten US-Einfuhrzölle die Hausse nicht bremsen können, weil Trump die ja schon lange avisiert hatte und weder DAX noch Dow deswegen abgedreht hatten?
Wem es gelingt, die Gier im Zaum zu halten, sich zurückzunehmen und das „Große Ganze“ im Blick zu behalten statt nur den Saldo des eigenen Depotbestands, würde realisieren, dass das Ignorieren von Gefahren eine Gefahr noch nie vertrieben hat. Das ist, als würde jemand „Vorsicht“ rufen, weil sie gerade auf immer dünneres Eis marschieren und Sie daraufhin unterstellen, dass da ein Spinner ruft. Nur, weil ihre nächsten beiden Schritte immer noch scheinbar festes Eis sehen und Sie daraus ableiten, dass auch der dritte und vierte Schritt kein Risiko birgt … und die anderen eben keine Ahnung haben.
An der Börse ab und an zu bremsen, wenn das Tempo irrwitzig wird, ist nicht dasselbe, wie mit dauernd angezogener Handbremse unterwegs zu sein. Auf einer langen Geraden ist Vollgas kein Problem, wenn man seinen Boliden beherrscht bzw. sich in Sachen Börse mit der Materie auskennt. Aber wenn die Strecke kurvig und unübersichtlich wird wie jetzt, zeichnet die guten Fahrer aus, im rechten Moment vorsichtig zu sein. Augen zu und durch, weil es doch bisher auch gut ging, das hingegen wäre, gerade jetzt, nicht zu empfehlen!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
Quelle:
Anlegerbarometer 1. Quartal 2025, Union Investment, vom 29.01.2025; https://unternehmen.union-investment.de/dam/jcr:7141856a-ac7f-4815-9152-1ee793da8ead/20250129_Presse-Info_Anlegerbarometer%20Q1-2025_final.pdf
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