Die Aktienindizes sind zum Wochenende nach unten gerauscht wie defekte Fahrstühle. Die Verluste waren immens … und man könnte versucht sein, folgendes zu denken: „Jetzt auszusteigen lohnt sich nicht mehr“ (wenn man ein normaler Anleger ist) und „jetzt kann ich extrem viel Geld in kürzester Zeit machen“ (wenn man ein Trader ist). Beides könnte für die Situation an der Börse aktuell stimmen. Aber in chaotischen Marktphasen sind einfache Antworten selten richtig. Wie handelt man in einer Phase wie dieser?
Ich muss sehr am Riemen reißen, um nicht wieder etwas zu den Entwicklungen in Absurdistan zu schreiben, das Land, das man bis vor kurzem noch die USA nannte. Aber erstens bin ich kein politischer Journalist, zweitens habe ich mich im Zuge der Analysen im LYNX Börsenblick darüber ausgelassen und drittens schreiben berufenere Geister schon genug darüber. Also braucht es meine Sicht der Dinge nicht auch noch. Und ein Wechsel hin zum heutigen Thema war letztlich zwingend angesichts dessen, was da am Freitag ablief.
Nein, das war noch kein Crash, obwohl ich die ganze Zeit darauf wartete, ob die US-Indizes es schaffen, in die erste Circuit Breaker-Phase zu rutschen, bei der bei einem Minus von sieben Prozent in einem der großen Indizes für zehn Minuten der Handel ausgesetzt wird. Ein Crash, das ist das, was Sie im folgenden Chart sehen:

Das nenne ich einen Crash. 22,6 Prozent Verlust im Dow Jones an einem Tag, damals, im Oktober 1987. Ich zeige Ihnen diesen Chart nicht, weil ich hier herum orakeln wollte, dass ein solcher Tag bevorsteht. Ich habe keine Ahnung, ob das der Fall sein wird. Ich weiß aber, dass es fatal unklug wäre, das einfach auszuschließen – mit den -5,5 Prozent vom Freitag dürfte ja auch kaum jemand gerechnet haben. In diesem Umfeld die eingangs formulierten Gedanken zu hegen, sollte man, so meine Meinung, lieber lassen. Nein, es ist nie zu spät, um zu verkaufen, weil man eben nicht weiß, wie es weitergeht. Das weiß man sowieso nie sicher. Aber jetzt haben wir eine Chaos-Phase, in der immer mehr Akteure völlig kopflos agieren. Da schließt man als Anleger besser absolut nichts aus … dazu unten gleich mehr. Und nein, in einer Situation wie dieser ist es nicht leicht, als Trader einen Haufen Gewinn zu machen.
Was Trader jetzt schaffen müssen
Ich bin offen gesagt eher nicht derjenige, der imstande ist, sich von der Logik der Rahmenbedingungen effektiv zu lösen und diszipliniert wie ein Computer zu traden. Dennoch war diese letzte Woche für mich als Trader erfolgreich. Aber es war Knochenarbeit. Absolut diszipliniert und konzentriert zu bleiben … und das vor allem ab Mittwochabend nonstop … das ist kein leicht verdientes Geld. Und wenn man nicht wirklich imstande ist, sich wie ein computergesteuertes Handelssystem zu verhalten, sprich dauernd aufmerksam zu bleiben und schnell und entschieden in der Reaktion zu sein, geht das schief! Schauen Sie sich hier mal den Chart des DAX für Freitag auf Fünf-Minuten-Basis an, dann wird deutlich, was ich meine:

Es gab eine einzige kurze Phase, die aber nur 20 Minuten dauerte, in der es stetig abwärts ging. Das war ab 12 Uhr, also in dem Moment, in dem China die Gegenzölle verkündete. Ich glaube nicht, dass es vielen da anders ging (wobei ich nicht diesen Index trade, aber das ist nicht der Punkt):
Der Markt rauscht plötzlich viel extremer nach unten als vorher, aber man hat keine Ahnung, was los ist. Bis ich mitbekam, was da passiert, war der Markt schon drastisch gefallen. Noch mitziehen bzw. Position ausbauen oder die Chance nutzen, um Kasse zu machen? Wie will man das entscheiden, wenn man gar nicht weiß, was los ist? Andererseits:
Sobald man es weiß, kommt gleich die nächste Frage: Wie weit drückt das die Kurse? Immerhin krachte der DAX mit den US-Futures mit ein, obwohl es ihn nur in zweiter Linie betrifft, da hätte jederzeit eine Gegenbewegung kommen können. Die dann ja auch kam, gegen 15 Uhr war fast der gesamte, vorherige „China-Selloff“ wieder aufgeholt, nur, um dann sofort einer erneuten Abwärtsbewegung zu weichen. Willkommen in der Achterbahn der Bekloppten!
Sehen Sie sich dazu die Skalierung an: Selbst in diesem Tagesverlauf klein wirkende Kerzen machten 100 und mehr Punkte aus. Da kann man nicht einfach mal so vor sich hin traden. Nicht mit nennenswerten Positionen. Denn es kann jederzeit, egal ob mit Rückenwind vom Nachrichtenticker oder ohne, zu extrem starken Gegenbewegungen kommen. Alleine, wenn Bären nur ein paar Gewinne mitnehmen wollen, kann das einen rasant fallenden Markt auf dem Absatz in die Gegenrichtung schicken.
Wer in diesem Markt agiert, muss daher vier Dinge schaffen, um am Ende erschöpft, aber mit mehr Geld als zuvor aus dem Getümmel zu kriechen:
1. Obwohl es so wirkt, als würde man gerade jetzt mit vollen Segeln fahren müssen, weil die Kurse so weite Strecken zurücklegen: Agieren Sie mit einem gezielt kleineren Kapitaleinsatz als sonst, denn die Kurse schwanken in beide Richtungen extrem und das dauernd und ohne Vorwarnung. Da wird man zwangsläufig immer mal wieder auf dem falschen Fuß erwischt, das muss man sich leisten können. Und das kann man nur, wenn man wenig Verlust macht, weil man auch wenig Geld einsetzt.
2. Sie müssen damit klarkommen, ggf. drei, vier oder fünfmal „blöd“ ausgestoppt zu werden. Ein guter Trader bleibt dran, weil er weiß: Bleibt man diszipliniert am Ball, kommen auch irgendwann die Impulse, die viele kleine Verluste mehr als kompensieren.
3. Diese Disziplin ist jetzt nicht wünschenswert, sondern unabdingbar. Bleiben Sie gelassen (was leichter ist, wenn man nicht um Haus und Hof zockt!) und folgen Sie Ihrem Trading-Ansatz. Wenn Sie ein Handelssystem haben, das sich bewährt hat, nutzen Sie es auch. Die Kurse bewegen sich ja wie immer, nur viel schneller und über größere Distanzen, was es aber nur nötig macht, Ihren Trading-Ansatz auf kürzere Zeitraster herunter zu schrauben. Beispiel: Mein Handelsansatz agiert normalerweise in Zeitrastern zwischen minimal 15 Minuten und maximal vier Stunden. Am Freitag bin ich zeitweise auf ein Zehn-Sekunden-Raster heruntergegangen, um mithalten zu können.
4. Verkneifen Sie sich jegliche Meinung darüber, wie es in einer Stunde oder morgen weitergeht. Sie können es nicht wissen. Aber wenn Sie ein Bild vor sich haben und zulassen, dass Ihnen dieses Bild und nicht das, was gerade wirklich passiert, die Hand führt, sind Sie auf einmal in einer Rallye Short und in einem Selloff Long, wenn es dumm läuft. Und da kann einmal reichen, um den Gewinn aus zehn disziplinierten Trades zu eliminieren!
Was Sie als Anleger schaffen müssen
Wer nicht tradet, sondern investiert, hat dafür immer zwei grundlegende Möglichkeiten: Kaufen und liegenlassen oder aber kaufen und jederzeit den Markt im Blick behalten, um aktiv auf Situationen zu reagieren. Ich bin absolut kein Freund der ersten Möglichkeit, alleine, weil man sich dann darauf verlässt, dass Aktien langfristig immer steigen. Was zwar stimmt, der Haken ist aber, dass „langfristig“ auch mal länger sein kann als man denkt. Und will man wirklich in einer Situation sein, in der man 13 Jahre warten will, um nur seinen Einstandskurs wiederzusehen, weil man sich von einer Hausse hat in den Markt ziehen lassen und deswegen nahe am Hoch gekauft hat? So, wie man als Käufer Anfang 2000 bis 2013 warten musste, um wieder dazu stehen, wo man herkam?

Ich rate dringend dazu, das Ersparte nicht einfach sinnbildlich unter den Teppich zu schieben und zu hoffen, dass es mehr geworden ist, wenn man ab und an mal nachschaut. Jeder Anleger, der sein Erspartes ernst nimmt, muss damit auch entsprechend umgehen. Und das heißt: Grundkenntnisse in Sachen Börse, überlegter Einsatz des Geldes und nichts ohne Stoppkurs. Schauen Sie nochmal ganz nach oben auf die Grafik des 1987er-Chrashs:
Wer aufmerksam war, wäre vor dem Crash ausgestiegen. Vorher hatte der Dow Jones zunächst ein Topp vollendet und dann, einen Tag vor dem Crash, auch die 200-Tage-Linie durchbrochen. Hätte man auf Ersteres nicht reagiert, so hätte man es spätestens beim Bruch der 200-Tage-Linie sofort tun müssen. Nicht „bei Gelegenheit kümmere ich mich drum“, sondern sofort!
Ja, was wir damals sahen und heute sehen, passiert nicht oft. Aber wenn es passiert, ist schnell mal der Gewinn eines Jahres weg … mit dem Risiko, dass es noch schlimmer wird. Sehen Sie dazu nur den Dow Jones an der Börse aktuell an:

Wir haben die gleichen Signale wie damals 1987 … und jeder, der das nötige Grundwissen hat und weiß, dass man auf sein Geld aufpassen muss, wäre am vorher, also am Abend des Donnerstags oder gleich am Freitagmorgen, aufgrund der bärischen Signale im Chart ausgestiegen!
Als Anleger muss es Ihnen gelingen, die Grundregeln des Investierens konsequent umzusetzen. Vorsichtig agieren, das Kapital auf verschiedene Bereiche verteilen, nie ohne Stoppkurse agieren und, das gilt für jetzt besonders: Nie ins fallende Messer greifen, sprich nie gegen den Trend agieren!
Was wir jetzt alle schaffen müssen
Dieses „nie gegen den Trend“ ist dabei viel, viel leichter in die Tasten gehauen als umgesetzt, das ist mir schon klar. Denn natürlich kann es durch Eindeckungen von Short-Positionen jederzeit zu immensen Gegenbewegungen kommen. Von denen man nicht über den Haufen gerannt wird, wenn man zwar trendkonform Short ist, aber diszipliniert mit kleinem Kapitaleinsatz agiert und eine Stop Loss-Verkaufsorder platziert, die knapp über vermutlich entscheidenden Chartmarken liegt. Aber wenn man weiß, dass es auch zu Kaufwellen kommen kann wie z.B. damals im März 2020, will man denen nicht entgehen, nein, man will sie mitmachen!
Wogegen grundsätzlich auch nichts spricht, aber wenn, dann eben mit der nötigen, absoluten Disziplin, will heißen: Nicht auf die Idee kommen, das Tief erwischen zu wollen. Wir bewegen uns in einer Phase, in der nichts absehbar ist. Washington ist derzeit komplett unberechenbar. Dass wir jetzt also so etwas sehen wie im März 2020, als aus einer Gegenbewegung eine Trendwende wurde, die von Hoffnung getragen wurde und im November, als die Sache gerade zu kippen drohte, mit der US-Wahl und den ersten Impfstoffen gerade rechtzeitig die nötige Unterfütterung bekam, ist nicht komplett unmöglich. Aber es ist unwahrscheinlich genug, um …

… als Anleger zu sagen: Ich mache einfach nichts, das wird schon wieder … oder als Trader gegen den Trend zu agieren. Was wir, wenn wir in einer Marktphase, die nur für Unbedarfte simpel wirkt (einfach auf fallende Kurse setzen und reich werden, haha) und in Wahrheit kaum schwieriger zu bewältigen sein könnte, zwingend schaffen müssen ist, die absolute, emotionslose Konsequenz aufzubringen, die das Gros der Akteure gerade vermissen lässt. Und, noch einmal:
Je kleiner der Kapitaleinsatz ist, desto besser. Auch, wenn die Kurse sich in normalen Phasen weniger schnell und weit bewegen, so sind es diese „normalen“ Zeiten, in denen man mit weniger Unsicherheit und dadurch mit der Möglichkeit, größere Positionen zu fahren, mehr verdient. Wobei ich jetzt mal abschließend eine kühne Behauptung wage:
Wer es schafft, heil durch ein derartiges, im Nebel liegendes Minenfeld zu kommen, weil er/sie es hinbekommen hat, sich nicht verleiten zu lassen (zumindest in der Mehrzahl der Fälle, wir sind ja keine Maschinen) und diszipliniert zu bleiben, den haut danach nichts mehr um. Sobald man diesen Punkt erreicht hat, bleiben Phasen wie diese „Trump-Börse“ zwar anstrengend. Aber sie schrecken einen nicht mehr. Das zu erreichen, ist ein lohnendes Ziel.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
Sie möchten ein Depot für Ihre GmbH, AG oder UG eröffnen und Betriebsvermögen in Wertpapieren anlegen? Informieren Sie sich jetzt über unser Wertpapierdepot für Geschäftskunden: Mehr zum Firmendepot über LYNX
--- ---
--- (---%)Displaying the --- chart
Heutigen Chart anzeigen