Dass es in einem intensiven Aufwärtstrend ausgerechnet kurz vor einem Jahresende zu Turbulenzen kommt, ist äußerst untypisch. Selbst für diejenigen, die das Credo der Börsen „Unverhofft kommt oft“ immer im Hinterkopf haben. Die Frage ist: Wie geht es jetzt weiter, nachdem der Fahrplan der Bullen so abrupt über den Haufen geworfen wurde?
Zum Auslöser des heftigen „Schluckaufs“ der Aktienindizes hatte ich mich ja in mehreren Analysen im LYNX Börsenblick am Donnerstag und Freitag schon ausgelassen, daher nur kurz gefasst: Dass die US-Notenbank am Mittwochabend für 2025 eine höhere Inflationsrate und dafür weniger Leitzinssenkungen als zuletzt im September avisiert projizierte, löste den Abverkauf aus. Die eigentliche Ursache war aber, dass diese in der Tat für die Aktienmarkt-Bullen unerfreuliche Voraussage eigentlich tendenziell absehbar war, zu viele aber die Risiken, die über der Hausse wie ein Damoklesschwert schweben, einfach ignorierten. Das geht am Ende immer schief. Doch sind wir denn jetzt bereits dort, am „Ende“? Das ist nämlich gar nicht mal sicher.
Erste Reaktion durch Terminmarkt verstärkt
Die großen Adressen im bullische Lager haben in der zweiten Monatshälfte des Dezembers immer eine Art „Fahrplan“, sofern der Trend nach oben weist. Die letzten Notenbanksitzungen, dann der „dreifache Hexensabbat“, sprich die große Abrechnung an der Terminbörse und dann das die Kurse meist weiter nach oben ziehende „Window Dressing“ der Fonds, mit dem diese ihre Performance zum wichtigen Jahresultimo werbewirksam optimieren. Da soll es nach oben gehen … und dabei geht selten etwas schief. Aber wenn, dann richtig, so wie diesmal. Das Problem war:
Diese Terminmarkt-Abrechnung findet immer freitags statt, die Notenbankentscheidungen meist, wie auch diesmal, am Mittwoch davor. Da liegt also sehr wenig Zeit dazwischen. Und wenn man mit einer Abrechnung auf Rekordhoch rechnet, dann aber kippende Kurse am Mittwochabend sieht, tickt die Uhr äußerst laut. Da muss sofort entscheiden werden. In der Regel werden die Abschläge direkt nach einer Notenbankentscheidung mit der Brechstange aufgekauft. Diesmal passierte das nicht, wie der folgende Chart, der den Nasdaq 100 Intraday für die letzte Woche auf 15 Minuten-Basis zeigt, deutlich macht.
Da kamen ausgelöste Stop Loss-Verkaufsorders zu einer ersten, negativen Reaktion hinzu, ebenso Hedging-Operationen der Terminmarkt-Akteure, die Long-Positionierungen mit Short-Trades gegensicherten, was die Kurse zusätzlich drückte. Aber diese Abrechnung ist ja jetzt vorüber. Und wir sehen in diesem Chart auch, dass der Nasdaq 100, ebenso wie alle größeren Indizes in Europa und den USA, am Freitag, dem Abrechnungstag, stieg.
Könnte das bedeuten, dass mit der Terminmarkt-Abrechnung auch das Schreckgespenst einer Abwärtstrendwende an der Börse aktuell vorbei ist, wir in den letzten Handelstagen des Jahrs wieder steigende Kurse sehen … und die Anleger zum Start ins neue Jahr auf die Fortsetzung der Hausse hoffen dürfen?
Charttechnisch zwischen den Stühlen
Es könnte so kommen. Immerhin sind ja noch ein paar Tage Zeit, zudem sind wichtige Unterstützungen in dieser zweiten Hälfte der Vorwoche entweder gehalten oder nur marginal unterboten und dann zurückerobert worden. Aber es muss nicht so kommen. Denn noch wurde mit den Käufen des Freitags nur Schlimmeres verhindert. Bullisch sind die Indizes alleine dadurch noch nicht. Sehen wir uns den S&P 500-Chart an:
Im Chart dick grün hervorgehoben ist das sogenannte „Trump Gap“, die Kurslücke, die als Reaktion auf Trumps Wahlsieg am 6. November entstand. Dessen obere Begrenzung wurde bereits Mitte November im Zuge eines Pullback angelaufen und hielt, die Folge waren neue Rekordhochs. Sollte der Index jetzt noch einmal in dieses Gap eintreten, müsste man zumindest damit rechnen, dass es geschlossen wird, wenn es ganz übel kommt, wird es sogar nach unten verlassen. Damit wäre dieser symbolhafte Kurssprung nach der Wahl abverkauft … das würde den Tradern das Signal liefern, dass man da zuvor in die falsche Richtung gelaufen sein könnte.
Der Ansatz zur Schließung des Gaps war zur Eröffnung am Freitag, dem „Hexensabbat“, wie man die Abrechnungsphase des Terminmarkts auch nennt, bereits erfolgt. Doch dann kamen Käufe. Und die führten dazu, dass die Sache im Sinne der Bullen gerade noch mal hingebogen wurde. Problem:
Das dabei entstandene „bullish engulfing pattern“ braucht eine Bestätigung in Form zeitnah, idealerweise gleich heute, weiter steigender Kurse, erst dann wäre es als positives Signal gültig. Und eigentlich müsste der S&P 500 mindestens über die 6.000 und damit wieder in diesen keilförmigen Aufwärtstrendkanal zurück, bevor man den Selloff der vergangenen Tage wirklich als Ausrutscher abheften könnte. Das kann klappen. Aber es muss nicht, alleine, weil der US-Anleihemarkt Signale hinter den Signalen der US-Notenbank nicht nur erkannt, sondern durch steigende Bond-Renditen auch umgesetzt hat. Was für alle sichtbar ist … auch für die Trader am Aktienmarkt. Was ist mit „Botschaft hinter der Botschaft“ gemeint?
Die Botschaft hinter der Botschaft der „Fed“
Die Inflation war auch im September noch nicht im Griff und kam langsamer zurück als gedacht, vor allem die Kernrate lag weiter deutlich zu hoch. Trotzdem avisierte die „Fed“ damals im September, bei der vorherigen Projektion für Wachstum, Arbeitslosenrate, Inflation und Leitzinsen, dass die Inflation 2025 auf 2,1 Prozent fallen und vier Zinssenkungen um 0,25 Prozent drin wären. Jetzt nicht mehr. Aber warum?
Was sich entscheidend verändert hat, ist nicht die Inflation oder das Wachstum. Es ist das politische Umfeld. Dass die Notenbanker jetzt restriktiver werden und mit einer nicht sinkenden Inflation rechnen, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Reaktion auf Donald Trumps Wirtschaftspläne sein, die tendenziell inflationstreibend wirken. Die Botschaft hinter diesen veränderten Projektionen in Sachen Inflation und Leitzins lautet damit:
Wir wissen, dass die Sache jetzt schwieriger vorhersagbar wird, aber wir wissen auch, dass die Risiken jetzt zugenommen haben. Was man auch übersetzen kann mit: Wenn sich abzeichnet, dass wir mit unserer Sorge richtig liegen, kann aus zwei kleinen Zinssenkungen ggf. auch gar keine werden … oder sogar, wenn es zu heftig würde, wieder höhere Leitzinsen. Wenn wir uns ansehen, dass die Rendite der US-Staatsanleihen (T-Bonds) mit zehn Jahren Laufzeit jetzt wieder auf 4,5 Prozent gestiegen ist … trotz bereits um 1,0 Prozent gesenktem Leitzins … und damit auf dem Level des Leitzinses, ist das ein stark bärisches Signal. Denn dass diese Rendite der zehnjährigen T-Bonds nicht unter dem Leitzins liegt, war zuletzt in der Phase der Fall, als die „Fed“ die Leitzinsen noch anhob!
Jetzt beginnt das große Belauern
Also, was haben wir: Einen seidenen Faden für die Aktienmarkt-Bullen, der halten kann, aber nicht muss und einen Schuss vor den Bug seitens der US-Notenbank, die klar machte, dass die Risiken wieder zunehmen. Werden jetzt, nach diesem aufrüttelnden Abverkauf, mehr Trader vorsichtig und ggf. aussteigen? Oder wird der seidene Faden ausreichen, um die Käufer in alter Stärke und Entschlossenheit zurück zu bringen? Weiß das jemand?
Nein, das weiß niemand. Denn in einer solchen Gemengelage agieren selbst Entscheider großer Adressen nicht nach Schema F, sondern entscheiden aus der Situation heraus. Die im steten Fluss ist – was einer tut, kann irrelevant sein, aber es kann auch anstecken. Das ist es, worum es jetzt gehen wird:
Alle wissen, dass die Entwicklung am Aktienmarkt jetzt eine Wundertüte ist. Es kommt darauf an, was die anderen tun werden. Dann entscheidet man selbst, ob man mitzieht, sich heraushält oder sich auf die Gegenseite stellt. Die Gegenseite von …? Eben.
Jetzt beginnt das große Belauern der anderen. Sehr viele werden jetzt bei jedem Ruck in den Kursen überlegen, ob das nicht eine Bedeutung haben könnte, ob nicht genau in diesem Moment ein großer Impuls startet. Aber es weiß niemand wirklich. Das führt zu dünnen Nerven, Augenrändern und zu emotionalen, meist voreiligen, hastigen Reaktionen. Ob das auch in den drei (in den USA viereinhalb) Tagen bis zum Jahresende passiert, ist zwar offen. Aber als sicher würde ich zumindest annehmen, dass der Start in das Jahr 2025 eher zu den ruppigeren Jahresstarts der letzten Jahrzehnte gehören wird.
Ob Sie jetzt mitlauern werden/wollen oder nicht: Das rosarote Szenario der Bullen hat erste Risse bekommen, die Volatilität wird zunehmen. Dabei kann alles herauskommen, von einem kapitalen Kurseinbruch bis zu einer Super-Rallye als letztes Aufgebot der Bullen. Das Beste, was man da als privater Trader tun kann ist: Kapitalexposition und Risiko herunterfahren. Das habe sogar ich jetzt getan.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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